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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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wir nicht erreichen.«
    »Versucht es weiter. Jetzt begleitet unsere jungen Freunde erst einmal aufs Revier.«
    Die vier Halbwüchsigen schauten sich an. »Das ist scheiße, Mann«, äußerte der Junge, der nicht Vilyem war, unsicher. Er wusste, gewisse Regeln verlangten, dass er sich meiner Anordnung widersetzte, andererseits war es ihm ganz recht, von den Uniformierten in Obhut genommen zu werden. Schwarzer Tee und belegte Brote und Papierkram, Langeweile und Neonbeleuchtung, alles ganz, ganz anders als das Aufheben dieser nässeschweren, sperrigen Matratze hinter den Müllcontainern, in der Dunkelheit.
 
    Inzwischen waren Stepan Shukman und sein Assistent Hamd Hamzinic eingetroffen. Ich schaute vielsagend auf die Uhr. Shukman ignorierte mich. Als er sich zu der Leiche hinunterbeugte, schnaufte er. Er bestätigte die Tatsache ihres Todes. Er äußerte Beobachtungen, die Hamzinic notierte.
    »Todeszeitpunkt?«, fragte ich.
    »Um die zwölf Stunden her.« Shukman drückte prüfend auf eine der Gliedmaßen der Toten. Die Leiche wackelte. Ihre instabile Lage ließ vermuten, dass sie bei Eintreten der Totenstarre gelegen hatte. »Sie wurde nicht hier getötet.« Ich hatte mehr als einmal gehört, Shukman wäre gut in seinem Job; ich persönlich fand ihn ausreichend kompetent, mehr nicht.
    »Fertig?«, fragte er eine Technikerin mit Kamera. Sie machte noch zwei Fotos aus verschiedenen Blickwinkeln und nickte. Mit Hamzinics Hilfe drehte Shukman die Tote um. Sie schien sich mit ihrer verkrampften Reglosigkeit gegen ihn zu sträuben. Auf dem Rücken liegend, bot sie einen grotesken Anblick, wie jemand, der toter Käfer spielt: mit angewinkelten Gliedmaßen und sacht auf der gebogenen Wirbelsäule schaukelnd.
    Unter einem flatternden Pony hervor blickte sie mit überraschter Miene zu uns auf, endlos erstaunt über sich selbst. Sie war jung. Dickes Make-up, verschmiert über ein übel zugerichtetes Gesicht. Unmöglich zu erkennen, wie sie aussah, welche Züge jene, die sie kannten, vor sich sehen würden, wenn sie ihren Namen hörten. Später ließ sich vielleicht mehr sagen, wenn sie sich ihrem Tod ergeben hatte. Blut auf dem Oberkörper, dunkel wie Schmutzflecken. Blitz, Blitz von Fotoapparaten.
    »Na, hallo Todesursache«, sagte Shukman zu den Wunden in ihrer Brust.
    Ein dünner roter Schnitt in der linken Wange reichte bis unter das Kinn. Man hatte ihr das halbe Gesicht der Länge nach aufgeschlitzt.
    Die ersten paar Zentimeter war die Wunde glatt, präzise wie ein mit ruhiger Hand geführter feiner Pinselstrich. Dann endete oder begann sie mit einem tiefen, hässlichen Loch in dem weichen Gewebe hinter dem Kieferknochen. Ihre blinden Augen starrten mich an.
    »Macht auch ein paar Aufnahmen ohne Blitz«, sagte ich.
    Wie einige andere schaute ich zur Seite, während Shukman seine Kommentare murmelte - offenbar wäre nicht nur ich mir vorgekommen wie ein Voyeur.
    Uniformierte Kriminaltechniker, verantwortlich für die Tatort-Rekonstruktion, suchten in immer größeren Kreisen das Gelände ab. Sie drehten Abfall um, untersuchten die Reifenspuren, sie nummerierten und fotografierten.
    »Na gut dann.« Shukman erhob sich. »Bringen wir sie weg.« Ein paar Männer hoben die Tote auf eine Bahre.
    »Verdammt noch mal«, entfuhr es mir. »Könnt ihr sie nicht zudecken?«
    Einer zauberte ein Laken herbei, keine Ahnung woher, und sie machten sich mit der Bahre auf den Weg zu Shukmans Vehikel.
    »Ich nehme sie mir heute Nachmittag vor«, verkündete er. »Kann ich mit Ihrer Anwesenheit rechnen?« Ich wiegte zweifelnd den Kopf, wandte mich ab und steuerte auf Corwi zu.
    »Naustin«, rief ich unterwegs und wartete auf ihn an einem Punkt, den ich so gewählt hatte, dass auch Corwi hören konnte, was gesprochen wurde. Sie hob den Kopf und kam ein paar Schritte näher.
    »Inspektor«, grüßte Naustin.
    »Tatortbefund.«
    Er nippte an seinem Kaffee und musterte mich nervös.
    »'ne Professionelle?«, sagte er. »Erster Eindruck, Inspektor. Die Gegend, verprügelt, nackt? Und ...« Er zeigte auf sein Gesicht: ihr übertriebenes Make-up. »Nutte.«
    »Auseinandersetzung mit einem Freier?«
    »Ja, aber ... Wenn es nur die Verletzungen am Körper wären, dann könnte man annehmen, dass sie nicht so wollte wie er oder was weiß ich. Er schlägt zu. Aber das hier?« Wieder berührte er seine Wange, diesmal mit Unbehagen. »Das ist was anderes.«
    »Ein Psycho?«
    Er zuckte die Achseln. »Möglich. Schlitzt sie auf, bringt sie um, lädt sie
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