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Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gegessen. Was ist es?«
»Raubkrabbe«, antwortete der Krieger.
Mike blieb der Bissen im wahrsten Sinne des Wortes im Halse
    stecken und das Glitzern in den Augen des Kriegers wurde noch
spöttischer. »Nur keine Hemmungen«, sagte er. »Es gibt keinen
Grund, aus dem sie uns nicht ebenso gut schmecken sollten, wie
wir ihnen.«
    Mike kaute fast widerwillig weiter, aber der Krieger
hatte
vollkommen Recht: Das Fleisch des Tieres schmeckte köstlich.
»Hast du gut geschlafen?«, fragte der Krieger.
»Ja, Herr«, antwortete Mike.
Der Krieger verzog das Gesicht. »Hör auf, mich Herr
zu
nennen. Mein Name ist Sarn.«
»Sicher, Herr«, sagte Mike, schluckte den Bissen hinunter, an
dem er gekaut hatte, und verbesserte sich:
»Sarn.«
»Gut«, sagte Sarn. »Wir marschieren weiter, sobald du
gegessen hast. Kannst du klettern?« Mike antwortete nicht
gleich. So verrückt es klang: Er wusste es nicht. »Ich ... hoffe es«,
sagte er zögernd.
»Nun, wir werden es herausfinden«, sagte Sarn. »Kannst
du dich jetzt besser erinnern? An diese seltsamen Namen, von
denen du gesprochen hast? Oder das Felltier?«
Astaroth. Der Name stand plötzlich und so klar in seinem
Bewusstsein, dass er sich unwillkürlich umsah, ob das Felltier
vielleicht in der Nähe stand und wieder auf seine unheimliche
lautlose Weise mit ihm sprach. Sie waren jedoch allein. Nach
einigen Augenblicken schüttelte er den Kopf.
»Du musst dich erinnern«, sagte Sarn eindringlich.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wichtig es ist. Nicht
nur für dich.«
»Wichtig?«, wiederholte Mike verstört. Er lachte unsicher.
»Wie könnte jemand wie ich wichtig sein?«
»Jemand wie du?«, fragte Sarn mit seltsamer Betonung.
»Wer bist du denn? Erzähl mir etwas über dich.«
»Da gibt es nichts zu erzählen«, antwortete Mike spontan. »Ich
arbeite in den Korallenbrüchen. Das ist alles.«
»Und warum?«, wollte Sarn wissen. »Du bist noch sehr jung.
Die Arbeit hier unten ist eine harte Strafe. Was hast du getan,
dass man dich dazu verurteilt hat?«
Mike dachte eine Weile über diese Frage nach, aber dann
zuckte er mit den Schultern.
»Du weißt es nicht«, sagte Sarn in einem Ton, als hätte er
genau diese Antwort erwartet. »Gut. Dann erzähl mir etwas über
dich. Wo kommst du her? Wer sind deine Eltern? Was hast du
getan, bevor du hierher geschickt wurdest?«
Mike schwieg. Er wusste es nicht. Es war unheimlich. Er
konnte sich an nichts erinnern, was länger als ein paar Wochen
zurücklag. Es war, als hätte sein Leben vorher gar nicht
existiert.
Und was vielleicht das Unheimlichste überhaupt war: Bevor
Sarn seine Fragen gestellt hatte, hatte er noch nie auch nur
darüber nachgedacht.
»Das dachte ich mir«, seufzte Sarn. »Du bist einer von denen,
nach denen wir suchen.«
»Wir?«
»Sei mir nicht böse, wenn ich darauf noch nicht antworte«,
sagte Sarn. »Du wirst alles erfahren, sobald wir in Sicherheit
sind.«
In Sicherheit? Mike hatte bisher noch gar nicht gewusst, dass
sie in Gefahr waren. Und er hatte das sichere Gefühl, dass Sarn
nicht von den wilden Tieren und gefährlichen Pflanzen sprach,
die es ringsum im Wald gab.
»Das alles muss dich ziemlich verwirren«, sagte Sarn.
»Aber das kann ich dir nicht ersparen. Du musst dich
erinnern, Mike.«
»Aber woran?«
»An dein Leben«, sagte Sarn. »Du hast damit schon
angefangen. Versuch es weiter. Jede Kleinigkeit ist wichtig. Für
dein Leben und für die Freiheit vieler Menschen. Vielleicht für
ganz Lemura.«
Er vertilgte sein letztes Stück Fleisch, stand auf und löschte
mit großer Sorgfalt das Feuer. Anschließend gab er Mike ein
Zeichen, sieh ebenfalls zu erheben.
Sie gingen zum Weg zurück. Sarn gebot ihm am Waldrand zu
warten. Mike beobachtete mit wachsender Beunruhigung, dass er
den Weg sorgsam auf Spuren untersuchte, ehe er ihm erlaubte
ihm zu folgen. Er sagte nichts, aber sein Benehmen machte
klar, dass er damit rechnete, verfolgt zu werden. Mike konnte
sich nur nicht erklären, von wem. Krieger hatten keine Feinde.
Es gab in ganz Lemura niemanden, den Sarn hätte fürchten
müssen. Mike wagte es jedoch nicht, eine entsprechende Frage
zu stellen.
Zwei, vielleicht auch drei Stunden marschierten sie in
scharfem Tempo dahin, dann erreichten sie die Stelle, an der der
Weg scharf nach Westen abknickte, um dem Großen Abgrund
auszuweichen und anschließend zum Aufstieg zur nächsten
Ebene zu führen. Mike erwartete natürlich, dass sie ihm weiter
folgen würden, und er war
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