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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Carrie Ryan
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packt meinen Fuß.Tote Finger schlingen sich um mein Fußgelenk, gleich werde ich Zähne spüren, das weiß ich, deshalb trete ich heftig um mich.
    Die Steine um mich herum geraten in Bewegung und geben ein winziges bisschen nach. Doch das reicht. Ich bekomme die Hüfte frei und kann mich über den Boden ziehen. Nachdem ich durch den Spalt hindurch bin, taste ich mit zitternden Fingern meinen Körper ab, um sicherzugehen, dass ich nicht gebissen worden bin – und um das Gefühl von Leichenfingern auf meiner kalten, geschundenen Haut loszuwerden.
    Arme greifen durch den Spalt nach mir, Ox’ Arme, die noch frische Bisswunden aufweisen . A ber er ist zu groß. Er wird dort festsitzen und nach mir greifen, bis sie schließlich alle in Starre verfallen – oder bis der Druck der vielen Leiber den Schutt von der Stelle bewegt und sie sich in dieWelt ergießen.
    Ich starre auf Ox’ Hand.Vor wenigen Minuten hat er noch gelebt.Vor dreiTagen habe ich meine Hand gegen seine Brust gedrückt, weil er nicht mit Catcher kämpfen sollte. Und jetzt ist das hier alles, was noch übrig geblieben ist.
    Die Nacht draußen glitzert, die Dunkelheit kurz vor Sonnenaufgang ist so viel heller als die Leere der Tunnel, deshalb kann ich sehen, wie ein paar Gestalten auf mich zu stolpern.
    So gern ich auch zusammenbrechen und weinen möchte, ich bin nicht in Sicherheit. Noch nicht.
    Neben mir ragt ein Gerüst aus dem Boden, ich probiere aus, ob es mein Gewicht tragen kann, bevor ich hinaufklettere. Oben laufen die Gleise weiter bis in die Ferne. Hier ist alles verlassen, ich setze mich hin, ziehe die Knie an die Brust und gönne mir einen Augenblick R uhe.
    Und da lasse ich dieTränen kommen. Ich spüre die Finger derToten immer noch, habe immer noch ihr Stöhnen im Ohr. Jeder Zentimeter von mir ist grün und blau geschlagen, meine Muskeln sind so ermattet, dass sie sich nicht mehr bemerkbar machen.
    Aber ich habe überlebt.
    Und jetzt ist es Zeit zu leben.
    Ich suche den Horizont ab. Links von mir zeigt sich ein Lichtstreifen am Himmel. Er reicht aus, dass ich denVerlauf der Gleise sehen kann. Ich stehe auf, entschlossen Catcher und die anderen zu finden.
    Nachdem ich so lange in denTunneln gefangen war, kann ich kaum noch geradeaus gehen, die Kälte nagt an mir . A ber die Brücke ist schmal, und einige der Bretter sind verrottet, ich muss mich darauf konzentrieren, einen Fuß genau vor den anderen zu setzen. Unter mir stolpern ein paarTote herum, sie kratzen am Gerüst, und trotzdem kommt mir dieser neblige Morgen ruhig vor, weil die Horde nicht hinter mir her poltert.
    Die Gleise führen mich über weite Strecken öden Landes, Unkraut überwuchert verkohlte Ziegel, an einen Friedhof grenzt ein Schrottplatz voller rostiger Bahnwaggons. Von überall kommen die Toten, sie folgen mir auf dem Boden, während ich über ihren Köpfen weitergehe. Sie stöhnen und recken sich – und ich ignoriere sie alle.
    Als der Himmel heller wird, zeichnet sich in der Ferne schließlich eine Form im Nebel ab. Elegante Schwünge und Bögen tauchen immer wieder zwischen den quellendenWolken auf. Ich reibe mir die Augen und weiß nicht recht, ob mir meinVerstand einen Streich spielt.
    Es ist fast zu schmerzlich zu hoffen. Ich schlucke, presse die Finger auf die Lippen, undTränen verwischen die Konturen des Dings, das die Achterbahn vom U-Bahn-Plan sein muss.
    Die Achterbahn, von der Catcher mir erzählt hat.
    Laut brüllen möchte ich und vor Freude schreien, denn mein Körper sehnt sich nach Erleichterung, aber ich kann es trotz allem nicht glauben. Langsam bewege ich mich vorwärts, doch ich warte darauf, dass dieWelt um mich herum wieder zusammenbricht.
    Denn ich kann nicht fassen, dass dies wirklich die Achterbahn ist. Ich kann nicht glauben, dass ich so weit gekommen bin.
    Die Rampe läuft auf eine Brücke zu, die über eine von Ranken überwucherte Straße führt. Ich klettere hinüber, weiche ein paar Ungeweihten aus, die zu nah herankommen. Dann stolpere ich durch hüfthohes Unkraut, falle über alte Baumwurzeln und Steine. Bei jedem Schritt möchte ich stehen bleiben, doch ich verspreche mir, noch einen mehr zu tun und dann noch einen. Nie wende ich den Blick von der Achterbahn ab und recke den Hals, als ich näher komme.
    Der obereTeil ist vom Morgendunst verhüllt, ein eisiger weißer Nebel, der sich an das Auf und Ab der Bahn schmiegt.
    Auf dem obersten Bogen bewegt sich etwas, ich erstarre. Es ist ein Schatten. Ein Mensch.
    Mein Herz fängt an zu
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