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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Carrie Ryan
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entfernt, und langsam, ganz vorsichtig, damit ich nicht an den Leichen hängen bleibe, krieche ich darauf zu.
    DieTunneldecke schrammt über meinen R ücken, es ist so eng, dass ich mich flach auf den Bauch legen muss, um an die Laterne zu kommen. Ich lege dieWange aufs Eis, gebleckte Zähne und krallende Hände direkt vor Augen.
    Einige derToten sehen aus, als würden sie schlafen . A nscheinend sind sie hier unten zusammengebrochen, wo kein lebendiges Fleisch sie locken kann, und seither an diesem Ort gefangen.
    Beim Kriechen spüre ich, wie die oberste Eisschicht unter meinen Händen zu schmelzen beginnt. Eine kleine Pfütze hat sich dort gebildet, wo die Laterne hingerollt ist. Das Stöhnen meinerVerfolger dringt in die Enge und durchzieht die Kälte mit dem Gefühl tiefer Einsamkeit.
    Ich strecke den Arm so weit wie möglich, meine Finger gleiten über das heiße Glas der Laterne und stoßen es eben außer R eichweite. Etwas streift meinen Fuß, ich schaue über die Schulter und sehe Finger, die mein Fußgelenk packen. Zähne, die sich aus dem Eis bohren. Um mich herum glitzern Eiskristalle im Licht, dann zischt es, und mit einem letzten atemlosen Keuchen der Laterne wird alles schwarz.

44
    I ch schreie. Die Dunkelheit überfällt mich mit erschreckender Intensität, ich bin wie gelähmt. Ich halte mir den Mund zu, bringe mich zum Schweigen. Dann lausche ich, ob sich noch ein anderer Körper bewegt.
    Das Bild ist mir immer noch vor Augen: eine Ungeweihte, die mit quälend langsamen Bewegungen nach mir greift, obwohl ihr halber Körper im Eis gefangen ist.
    Ich trete, trete noch einmal zu, ziehe die Knie an die Brust, bis ich mich so klein wie möglich gemacht habe. In denTunneln kann man sich nicht an Geräuschen orientieren. Sie prallen an den Wänden ab, laufen über die Decke, machen es schwierig, Richtung oder Entfernung einzuschätzen. Ein Lufthauch streift flüsternd meinen R ücken, und mein Geist beschwört die schlimmsten Bilder herauf.Tote Lippen auf meiner Haut … ich muss mich konzentrieren.
    Ich lausche auf meine Atemgeräusche und strenge meine Sinne bis zum Äußersten an.Wasser tropft von schmelzenden Eiszapfen, unter meinem Körper bilden sich Pfützen. Dann höre ich, wie sich Glieder knackend strecken. Und das Keuchen, das dem Stöhnen vorausgeht.
    Ich wusste, dassTote in diesenTunneln eingeschlossen waren. Es war nur eine Frage der Zeit. Ich drehe mich auf die Seite, packe meine Machete und schwinge sie in die Richtung, in der ich die Laterne das letzte Mal gesehen habe, höre, wie die Klinge übers Metall kratzt, wie das Glas übers Eis rollt.
    Panik droht mich überwältigen, mich ausschalten, aber ich wehre mich dagegen. Ich spüre, wie die Spitze der Machete hinter den Laternenbügel hakt, ziehe sie heran und taste nach dem Feuerstein in meinerTasche.
    Als ich ihn anschlage, erleuchtet ein winziges Flämmchen Münder und Augen unmittelbar vor mir. Ich wimmere.
    Wieder schlage ich auf den Feuerstein.
    Hände strecken sich in meine Richtung.
    Ich schlage mit der Machete zu, schwinge sie willkürlich und stoße nur auf Luft und Eis. Dann knie ich mich hin, schlage wieder auf den Feuerstein … und noch mal, lege die Finger um den Docht der Laterne, und mit einem Zischen erwacht die Flamme zum Leben.
    Das Stöhnen klingt wie Flüstern. Die Körper der Ungeweihten sind fast gefroren, das macht ihre Bewegungen so träge, als würden sie im Matsch stecken . A ber trotzdem haben sie es auf mich abgesehen.
    Sie krallen sich ins Eis, gleiten über den Boden, rutschen durch den schmalen Spalt unter der Decke des eingefrorenenTunnels.
    Die kurze Zeit, die ich zum Anzünden der Laterne gebraucht habe, hat ihnen genügt, um näher heranzukommen. Jetzt erkenne ich Details …Wangenknochen, Kiefer, Augenbrauen. Das hohleVerlangen.
    Als die erste Leiche in R eichweite ist, schlage ich zu, durchbohre ihr Auge mit der Spitze der Machete, stemme den Fuß gegen ihr Gesicht, damit ich Kraft habe, die Klinge herauszuziehen und noch einmal zuzuschlagen.
    Ich säubere den schmalen Pfad zwischen den Ungeweihten, spüre ihre Finger an meinen Beinen, als ich vorbeikrieche . A ber ich bin nicht schnell genug. Es sind zu viele.
    Meine Bewegungen werden hektisch, ich schwenke die Machete in engen Kreisen, wehre ihre Berührungen ab, aber es reicht nicht. Plötzlich höre ich ein hohes Winseln, dann knackt es mit einem Mal laut unter mir, und etwas bewegt sich. Ich wälze mich auf die Seite, bohre die Spitze der
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