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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern
Autoren: Guido Dieckmann
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gesorgt, dass mein Schwiegervater nicht mit den anderen Ratsherren hingerichtet wurde?» Griet blickte Don Luis an. Sie hatte schon seit langem geahnt, dass er sich in jener Nacht für den alten Mann verwendet hatte, aber nicht verstanden, was ihn dazu bewogen haben mochte. Nun begriff sie es. Er war ihr heimlicher Schutzengel gewesen. Ein Schutzengel, der sich zuweilen recht ungewöhnlicher Mittel bedient hatte, um seine Ziele zu erreichen.
    «Fürstin Margarethe wollte euch schon vor Monaten nach Namur holen», sagte Don Luis. «Aber du hast es mir verdammt schwer gemacht. Ich durfte dir den Grund nicht nennen, denn ich wusste nicht, wie du darauf reagieren würdest. Mir blieb keine andere Wahl, als es euch in Oudenaarde so unbequem wie möglich zu machen. Ich dachte, dann würdet ihr einlenken und die Stadt freiwillig verlassen.» Er seufzte. «Weit gefehlt. Leider hatte ich nicht erwartet, dass du sturer sein kannst als ein spanischer Maulesel.»
    «Dann können wir ja jetzt zum Weihnachtsbankett gehen», schlug Margarethe von Parma vor. «Es war mir ein Herzensbedürfnis, auch die Menschen nach Namur zu laden, die euch in den letzten schweren Wochen treu zur Seite standen. In der Halle werdet ihr sie sehen. Ich habe auch eine Amme für das Kind aufgetrieben, das ihr mitgebracht habt. Ein zuverlässiges Mädchen, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Das ist mein Abschiedsgeschenk, denn sobald das Wetter es zulässt, werde ich mich auf den Weg nach Italien machen.»
    Cäcilia bedankte sich bei der Fürstin. Mit so viel Großzügigkeit hatte sie nicht gerechnet. Voller Freude sah sie zu, wie ihr Sohn die junge Frau, deren Herz er erobert hatte, die Stufen der breiten Treppe hinunter zur Halle führte. Sie sah wunderschön aus; ihr langes rotes Haar, das an diesem Abend weder Witwenhaube noch Schleier verhüllte, fiel ihr über die schmalen Schultern. Ihr schlichtes braunes Kleid untermalte die Anmut, mit der sie sich bewegte. Ob ihr bewusst war, welche Hand sie Luis gereicht hatte? Cäcilia freute sich über die zärtlichen Blicke, welche das junge Paar austauschte, und war davon überzeugt, dass sie ein erfülltes gemeinsames Leben erwartete. Ob sie in Namur blieben oder nach Oudenaarde zurückkehrten, war bedeutungslos. Sie gehörten zusammen und würden von diesem Tag an keine Heimlichkeiten mehr voreinander haben. Sie stellte sich ihren Sohn vor, wie er seinen Kindern in einigen Jahren in flämischer Sprache von den Schönheiten seiner spanischen Heimat vorschwärmte, und empfand Stolz bei dem Gedanken, dass er mit Griets Hilfe zu seinen Wurzeln zurückgefunden hatte. Sie freute sich auch darüber, dass Griet das Kind ihrer verstorbenen Magd Beelken aufziehen wollte. Es war nicht leicht für eine Frau, die Untreue eines Mannes zu vergessen. Aber Griet schien in dem jungen Leben mehr zu sehen als die Frucht eines Fehltritts, nämlich einen neuen Bund. Ein Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung und einen Neuanfang mit den Menschen, die ihr am Herzen lagen.
    Wie schön wäre es, sie bei diesem Neuanfang ein Stück des Wegs zu begleiten, dachte sie versonnen. Doch das musste warten, möglicherweise für lange. Sie konnte nur beten, dass die beiden verstehen würden, warum sie sie verließ. Sie blieb stehen, bis Griets Vater, der Basse führte, um die Ecke gebogen war. Und hoffte, dass keiner sie vermisste, als sie eilig zu ihrer Kammer lief.
    Dort war es finster. Aus der Stadt, die tief unter der Burg am Fluss lag, sandten die Glocken einer Kirche das Geläut zur Heiligen Nacht zu ihr herauf. Es mischte sich mit Gesprächsfetzen und dem fröhlichen Gelächter der Menschen, die in der Halle der Fürstin den Sieg des Lichts über die Dunkelheit feierten. Cäcilia atmete schwer. Vor ihrem Bett bückte sie sich und tastete die Dielen ab, bis ihre Finger den Einband des Buches berührten. Einige Augenblicke lang starrte sie den zerkratzten Holzdeckel an und fragte sich, ob sie das Buch des Aufrechten wirklich in die Kurpfalz bringen sollte. War es dort sicher? Sie wusste es nicht, und das Buch selbst schwieg, seit sie es aus den Trümmern in der Krypta gezogen hatte. Aber in der Kurpfalz gab es Männer, von denen Tobias ihr erzählt hatte und die sich darauf verstanden, alte Schriften wie diese zu deuten. Sie sollten entscheiden, ob und wann die Zeit reif war, ihre Botschaft bekannt zu machen. Vielleicht konnten die Gelehrten ihr auch sagen, woher die Worte gekommen waren, die sie in der Kirche ausgesprochen hatte und
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