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Die Spur des Tieres

Die Spur des Tieres

Titel: Die Spur des Tieres
Autoren: Vampira VA
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Übelkeit, die nach oben drängte.
    Nur Übelkeit?
    Tobias hatte plötzlich die alptraumhafte Vorstellung, er könnte schon die ganzen Tage etwas in sich tragen, das dem ähnlich war, was der Tuchhändler Belier erbrochen hatte.
    Vielleicht hatte es die ganze Zeit in ihm gereift.
    Vielleicht schlüpften nun die Spinnen ...
    In seinem Kopf dröhnte ein dumpfer Klang, als wäre ein Kirchturm in einem tiefen See versunken und die Glocke klänge gedämpft und verzerrt bis zur Oberfläche empor.
    Seine anfängliche Vorsicht schwand. Er stolperte nur noch über den holprigen Wiesenboden und kämpfte darum, nicht von dem fürchterlichen Druck in seinem Schädel zerrissen zu werden.
    Was war das?
    Durch tränenverschleierte Augen nahm er das Heerlager in sich auf. Hier schien ein andere Realität zu herrschen als draußen, hinter der unsichtbaren Markierung, die Tobias überschritten hatte.
    Eine kleine, besiegte Armee lag, kauerte und zuckte in und zwischen den Zelten, neben erloschenen Feuern.
    Franzosen.
    Sie hatten hier campiert, wohl um in Kürze eine andere, von Menschen gemachte Grenze zu überschreiten und Teil der Kriegsfurie zu werden, die Deutschland überrannte. Seit die Schweden und die Franzosen sich gegen König Ferdinand II. verbündet hatten, mußten die kriegsgebeutelten Deutschen und ihre Nachbarn die Hoffnung auf einen baldigen Frieden zu Grabe tragen. Noch ärger als in den vergangenen Jahren wütete der Terror in Stadt und Land. Dazu kam die mancherorts grassierende Pest, die im letzten, schwülheißen Sommer Abertausende das Leben gekostet hatte und gewiß noch nicht überwunden war .
    Tobias wischte sich die Augen mit den Handrücken trocken. Zuerst glaubte er, seine Sinne hätten ihm einen Streich gespielt.
    Doch dann . nein, er hatte sich nicht getäuscht. Er hatte sich nicht geirrt, was die Soldaten anging. Aber . er verstand es nicht. Lagen die Franzmänner schon so danieder, daß sie . ... halbtote Greise ins Feld schicken mußten ...? Wohin Tobias auch blickte, überall bot sich ihm dasselbe Bild: Augen, vom Alter getrübt, starrten ihm entgegen, ohne ihn wirklich zu sehe. Aus eingefallenen, zerfransten Mündern drang wimmerndes Flehen. Ab und zu ein Husten, das die von ihrer Schwäche an den Boden genagelten Leiber zu zerreißen drohte .
    Waren das die gestandenen Kämpfer, vor denen sich auch die Heidelberger gefürchtet hatten, wenn über den Weitergang des Krieges debattiert worden war?
    War das Frankenreich so ausgeblutet, daß es solche Armeen entsenden mußte .?
    Verfluchter Unsinn! dachte Tobias. Er hat das getan! - Aber wenn Er dessen mächtig ist .
    Sein Blick ging an sich selbst herab. Er riß Mantel und Hemd auf und entblößte seine Haut, um zu sehen, ob - Dem Himmel sei Dank, nein. Sein Fleisch war immer noch straff und gesund. Ihn hatte die Heimtücke des Teufels noch nicht getroffen. Noch nicht?
    Eine Hand spannte sich jäh um Tobias' rechten Knöchel. So überraschend, daß er erstickt aufschrie und in einer ersten Regung blindlings zutreten wollte. Aber der Soldat, dem die dürren Knochenfinger gehörten, bleckte die wenigen schwärzlichen Zähne, die sich noch in seinem furunkelübersäten Mund befanden und röchelte: »Mon frere, au secours ...! Je te supplie .. .« *
    Tobias hatte das Gefühl, ohnmächtig werden zu müssen. Aber er kämpfte die Dunkelheit, die in ihm wogte, zurück, bückte sich und löste behutsam Finger für Finger der Soldatenhand von seinem Bein. Der Kopf des Sterbenden sank, noch während Tobias zugange war, zur Seite, und der entsagungsvolle Seufzer sowie das Ende der an-*»Bruder, hilf mir .! Bitte .«
    fallartigen Zuckungen deutete darauf hin, daß er gerade sein Leben ausgehaucht hatte.
    Tobias wußte, daß er ohnehin nichts mehr für ihn hätte tun können. Dennoch zog sich der Ring um seinen Kopf, der Ring um sein Herz noch ein bißchen enger. Nur die Übelkeit ließ allmählich nach, gerade so, als hätte sich sein Körper selbst gegen das Ungemach geholfen.
    Keine Spinnen, dachte Tobias dankbar. Wenigstens keine Spinnen ...
    Es geschah unbewußt, daß er auf dasselbe Zelt zuwankte, das Lile- na, von anderer Seite kommend, bereits erreicht hatte .
    *
    Den Druck, den Tobias verspürte, bemerkte Lilith Eden nicht. Sie fühlte sich, seit sie das Lager betreten hatte, sogar sonderbar leicht und beschwingt, aller Sorgen ledig, die sie bis dahin an den Gestaden der Zeit, an denen sie gestrandet war, belastet hatten.
    Aber gerade dieses fast an Euphorie
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