Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur des Tieres

Die Spur des Tieres

Titel: Die Spur des Tieres
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
darüber nachzudenken, und brachte sich ganz in das Spiel ein, das so alt war wie die Menschen.
    Im ersten Morgengrauen setzten sie ihren Weg fort. Sie mieden die öffentlichen Straßen, weil auch der Teufel offenbar lieber abseits gelegene Pfade beschritt und sich den Weg durch Waldesdickicht oder über Wiesen bahnte.
    Den Weg wohin?
    »Es zieht ihn zur Grenze«, sagte Tobias an diesem Morgen und blieb stehen, um von einer Anhöhe aus über die Herbstlandschaft zu blicken, die sich vor ihnen erstreckte. Nur die Tannenwälder boten noch Grün; die anderen Bäume und das meiste Gesträuch hatten sich ihres Laubes entledigt und griffen wie entblößte Knochen hoch zur Sonne. »Es ist nun eindeutig, denn in dieser Richtung liegt das Frankenreich. Ein paar Kilometer noch, und wir begegnen einem anderen, aber nicht minder grausamen Feind .«
    Lilith verstand manchen Ausdruck in seinen Augen besser seit der Nacht, die hinter ihnen lag. Tobias hatte ihr von seiner Kindheit erzählt, die lange Zeit vom Kriegstreiben überschattet gewesen war. Auch seine Eltern waren den Landsknechten zum Opfer gefallen, die vor dreizehn Jahren in Heidelberg eingefallen waren. Er selbst war wie durch ein Wunder davongekommen.
    Ein Wunder, das mit dem Talent zusammenhängen mag, das Salvat in ihm erspäht hat, dachte Lilith, immer noch unschlüssig darüber, welche Gabe Salvat ihr zuschrieb. Sie hielt es für denkbar, daß er ihre Ausstrahlung mißgedeutet und ihr mehr Gewicht zuerkannt hatte, als dahintersteckte. Eine Frau, in der sich ein fremdes Bewußtsein eingenistet hatte, besaß das Potential für einige Irritationen ...
    »Willst du aufgeben?« fragte sie und meinte es ehrlich, als sie hinzufügte: »Niemand kann es dir verdenken, wenn du dich entscheidest, dein Leben zu leben. Du bist noch so jung .«
    Er blinzelte. »Und du?«
    Er hätte es nicht verstanden, wenn sie ihm ihr wahres Alter genannt hätte, das sie zum Großteil träumend und schlafend verbracht hatte.
    »Ich muß es tun.«
    »Um wieder nach Hause zu kommen?«
    Sie nickte.
    »Dann muß ich es auch tun.«
    »Dazu besteht keine Not.«
    »O doch.«
    »Warum?«
    »Vielleicht, um ein neues Zuhause zu finden?« Er nahm den Marsch wieder auf. »Nach Heidelberg, das weiß ich sicher, will ich nie mehr zurück .«
    *
    Zwei Tage später
    Der Wind wisperte in den Weiden eines schmalen Bachlaufs, und auf den brachliegenden Äckern zu beiden Seiten hockten Schwärme von Raben, die mit ihren klobigen Schnäbeln Futter aus dem hartgefrorenen Boden meißelten.
    Der Krieg hatte die Bauern der Umgebung vertrieben oder umgebracht.
    »Hier wurd' schon lang kein Feld mehr bestellt«, flüsterte Tobias.
    Liliths Hand kniff ihm in den Arm, um ihn zum Schweigen zu bringen, denn die Raben waren gefährlich.
    Weil sie nicht allein waren.
    Hinter ihnen erhoben sich diesseits des Ufers Zelte und Fahnenstangen, aber es brannten keine Feuer, wieherten keine Pferde, und in den provisorischen Gattern war auch sonst kein Vieh zu sehen. Das Gras stand hoch. Halme wiegten sich in den frostklirrenden Böen, die aber weder Branntweingerüche noch Stimmen, Gesänge oder Gelächter herübertrugen.
    Es war totenstill, als hätte der Heerführer befohlen, allergrößtes Stillschweigen zu bewahren, um das Hiersein zu verschleiern .
    Die Spur führte geradewegs durch das Lager hindurch. Offenbar war der Teuflische hier vorbeigekommen, bevor die französischen Landsknechte ihr Lager aufgeschlagen hatten.
    Die Banner, die im Wind flatterten, hielten die Raben offenbar fern, aber eine einzige unbedachte Bewegung von Lilith oder Tobias konnte sie aufschrecken, und dann mochte es mit der Ruhe im Lager vorbei sein.
    »Wir warten die Dunkelheit ab und umgehen die Truppen dann weiträumig«, schlug Tobias, noch leiser als eben, vor.
    Lilith nickte nur.
    Seit sie der Fährte folgten und sich wie Bluthunde an die Fersen des Entsetzlichen geheftet hatten, war die Witterung immer gleich stark gewesen, und auch jetzt fehlte jedes Indiz, ob sie zu dem Flüchtigen aufgeholt hatten oder ob die Distanz zwischen ihnen vielleicht sogar noch größer geworden war.
    Hätte er die Art der Fortbewegung, mit der er dreigestaltig in der Kirche zu Heidelberg erschienen war, noch immer uneingeschränkt beherrscht, so wäre die Hoffnung, ihn je einzuholen, wohl illusorisch gewesen.
    ZZZUUUWWW!
    Das haarsträubende Geräusch ging Lilith nicht mehr aus dem Ohr, seit sie es dreimal hintereinander vernommen hatte. Und immer häufiger
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher