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Die Spur des Drachen

Titel: Die Spur des Drachen
Autoren: Jon Land
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Ausgestoßene, aus der Gesellschaft verbannt, als Strafe für ihre Sünden. Ihre Großmutter hatte Matabu nie erzählt, was die Moorfrau getan hatte, dass man sie ins Exil schickte. Vielleicht hatte auch sie ihr eigenes Kind getötet.
    Der Lastkahn hatte die Außenbezirke von St. Louis bereits hinter sich gelassen. Matabu konzentrierte sich darauf, ihre Karte auf den ersten Hafen hin zu überprüfen, an dem sie anlegen wollte, achtzig Kilometer südlich in Ste. Genevieve. Als diese Anstrengung ihr zu viel wurde, lenkte sie sich von dem schmerzenden Pochen in ihrem Kopf ab, indem sie sich die Freisetzung des Schwarzen Todes entlang des Mississippi vorstellte. In Gedanken sah sie die gefräßigen Käfer, die sich wimmelnd ausbreiteten, bereit, das Kernland der Vereinigten Staaten zu verwüsten.
    An den Ufern des Mississippi verschwand die Stadtlandschaft allmählich aus ihren Augen. Zur Rechten, im Bundesstaat Missouri, prägten Klippen und Hügel die Landschaft; gegenüber, in Illinois, herrschten dagegen Flachwasserzonen vor.
    Plötzlich hatte Matabu das Gefühl, als hätte eine Nadel sich in ihren Schädel gebohrt. Ein Blitz explodierte vor ihren Augen und schien ihre Haut von innen und außen zu verbrennen. Sie kniff die Augen zusammen, erreichte damit jedoch das genaue Gegenteil. Dikembe und Timo packten sie von beiden Seiten; ihre Gesichter waren angespannt vor Sorge. Dies war keine der üblichen Schmerzattacken, an die sie sich bereits gewöhnt hatte. Diesmal war es anders.
    Der Falke und der Adler …
    Latisse Matabu hatte sie wieder gesehen, wenn auch nur ganz kurz. Das konnte nur eines bedeuten: Die beiden waren in Sierra Leone irgendwie dem Tod entronnen. Und nun waren sie hier, ganz nah – ihre Jäger, die gekommen waren, um Latisses Schulden einzutreiben.
    Doch sie war noch nicht bereit zu zahlen. Noch nicht. Nicht jetzt, wo der Sieg, den sie so lange angestrebt hatte, zum Greifen nahe war. Amerika musste sterben, musste bezahlen, genau wie sie.
    Achtern stehend spürte Latisse Matabu plötzlich, wie der Lastkahn langsamer wurde. Sie trat aus dem Schutz eines der gekühlten Laderäume, um zu sehen, was der Grund dafür war.

97.
    Ben klammerte sich an die Reling des Patrouillenbootes, während Danielle das Ruder bediente. Vom Ufer aus hatte das Wasser ruhig ausgesehen, doch in der Mitte schien sich der schlammfarbene Fluss zu verdichten und zerrte mit Strudeln, die aus allen Richtungen zugleich zu kommen schienen, an dem kleinen Boot. Der Mississippi wurde zu einer brodelnden Masse wütenden Wassers und zwang Danielle, wild am Ruder zu drehen, um das Boot halbwegs auf Kurs zu halten.
    »Ich dachte, du weißt, wie man so ein Boot steuert«, rief Ben ihr zu.
    Danielle wollte gerade etwas erwidern, als der Motor des Patrouillenbootes plötzlich stotterte und erstarb.
    Der nahende Schleppzug umfasste sechs Schiffe und erstreckte sich nach Latisse Matabus Schätzung gut vierhundert Meter den Fluss hinunter. Im Ruderstand hatte ihre Zweimann-Besatzung den Lastkahn hart in Richtung Flachwasser gelenkt. Sie waren langsamer geworden, um das riesige Ungeheuer vorbeizulassen. Gleichzeitig hatten sie sich quer gestellt, um nicht von dem mächtigen Strudel auf Grund gedrückt zu werden. Der Lastkahn rollte und nickte. Die Vögel, die auf der Oberfläche des Mississippi nach Futter suchten, stiegen flatternd auf. Schwärme von Moskitos aus dem sumpfigen Flachland am Ufer von Illinois fielen über sie her.
    Latisse Matabu knirschte mit den Zähnen und wartete.
    »Wir treiben ins Flachwasser!«, rief Danielle. Sie warf Ben eines der beiden Paddel zu, die außen am Patrouillenboot festgemacht waren. Ihre Bemühungen, den Motor wieder in Gang zu bekommen, waren fehlgeschlagen.
    Gemeinsam kämpften sie gegen die starke Strömung des Flusses an, konnten das Unvermeidbare aber nur hinauszögern. Ben legte sich mit aller Kraft in die Riemen, doch er und Danielle konnten nur ihre Position halten; mehr war nicht drin. Sie kamen nicht vom Fleck.
    Plötzlich schoss das Boot nach oben und krängte stark nach Backbord.
    »Zum Teufel!«, rief Ben, als ein lautes Signalhorn ertönte. Er drehte sich um und sah einen Raddampfer auf sie zu kommen, der die Fahrt verlangsamte und längsseits ging.
    »Soll ich euch mitnehmen?«, rief ein Mann in Kapitänsuniform aus dem Ruderstand zu ihnen hinunter.
    »Ich wusste gar nicht, dass die Leute von der Flusspatrouille Zivilkleidung tragen«, begrüßte der Kapitän der Spirit of St. Louis sie,
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