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Die Spur der Kinder

Titel: Die Spur der Kinder
Autoren: Hanna Winter
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versuchte sie, ihre Hände zu befreien, die hinter ihrem Rücken an ein Heizungsrohr gefesselt waren. Vergeblich. Anne zwang sich, wach zu bleiben.
    Womöglichdurchkämmt ja doch längst ein Suchtrupp den Wald.
    Anne gab die Hoffnung nicht auf, dass sich gleich die Deckenluke öffnen und ein Einsatzkommando der Polizei diese gottverdammte Grabkammer stürmen würde. Doch es geschah nichts dergleichen. Und allmählich kam Anne zu der bitteren Erkenntnis, dass auch niemand nach ihr suchen würde. Nicht in diesem Loch, nicht drei Autostunden von ihrer Heimatstadt Rostock entfernt. Nicht nach einem Mädchen, das den Urlaub mit ihren Eltern verschmäht hatte, um mit ihrem Freund nach Italien zu reisen. Selbst Lars würde nicht nach ihr suchen.
    »Ich fahre alleine nach Italien!«, hatte sie ihn noch angebrüllt, bevor sie aus dem Wagen gesprungen war. Auf seine Frage, wie sie das anstellen wolle, hatte sie nur patzig erwidert: »Lass das mal meine Sorge sein!«
    Man würde also frühestens nach den großen Ferien damit beginnen, sie zu suchen, stellte Anne verzweifelt fest.
    Aber dieser kleine Junge hier – der wird ganz sicher längst vermisst.
    Anne klammerte sich an den Gedanken, dass es für sie noch Hoffnung gab, solange der Junge neben ihr lag. Ob nun tot oder lebendig.
    Plötzlich hörte sie die Holzbalken über ihnen knarren. Feste, stampfende Schritte näherten sich. Undverstummten direkt über ihnen. Anne hielt den Atem an. Hilflosigkeit und Panik stiegen in ihr auf, und ihr wurde übel vor Angst, als sie ein flappendes Geräusch vernahm, das wie das Zurückschlagen eines Teppichs klang. Ihr Herz schlug schneller, und sie hörte das Blut durch ihren Kopf rauschen, während sich die Luke mit einem altersschwachen Krächzen öffnete. Anne schreckte zurück.
    Was da jetzt leise ächzend die Leiter herabgestiegen kam, war gewiss kein Sondereinsatzkommando.
    ***
    (Zur selben Zeit in Berlin)
    Fiona Seeberg stellte ihre schweren Einkaufstüten auf dem Treppenaufgang vor der Haustür ab, als ihr Marianne Hubertus, die weißhaarige Dame von nebenan, mit ihrer Englischen Dogge entgegenkam. Ja, danke, gut gehe es, eben immer so weiter. Zum Tierarzt? Arthritis? Nein, wirklich?, gab sich Fiona interessiert. Na dann, bis demnächst, und gute Besserung noch für den Hund.
    Fiona schloss die Haustür auf und sah der älteren Frau mit der hechelnden Hündin noch hinterher,da fiel ihr der verbeulte, rostrote Fiat Punto auf, der nur wenige Schritte vom Hauseingang entfernt parkte. Der Mann hinter dem Steuer trug eine schmale Sonnenbrille und eine verwaschene hellblaue Jeansjacke. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte sie den Wagen in den vergangenen Tagen bereits öfter gesehen. Nicht nur vor ihrem Haus, auch vor dem Papierladen, dem Supermarkt und unweit Adrians Restaurant. Und obwohl sie allmählich nicht mehr an einen Zufall glauben mochte, hoffte etwas in ihr, dass sie sich irrte.
    Ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen, verschwand Fiona im Hauseingang, trug die Einkäufe nach oben und stellte die Tüten in die Küche. Am Kühlschrank haftete unter einem Eiffelturm-Magneten, einem Mitbringsel aus besseren Zeiten, eine Nachricht von Adrian.
    Hallo Liebling.
    Bin schon im Laden. Habe heute neuen Beluga geliefert bekommen. Schau doch vorbei, wenn du willst. Rolf kommt auch noch. Bis später …
    Kuss
    Ausdruckslos betrachtete Fiona den Zettel, bevor es sie ans Fenster zog und sie zur Straße hinunterspähte. Wer auch immer der Mann in dem roten Punto gewesen war und was auch immer er gewollt hatte – er schien wieder verschwunden zu sein . Mit gemischten Gefühlen streifte Fiona ihre Ballerinas ab, schlüpfte in ihre Hausschlappen und schlenderte ins Wohnzimmer.
    Im Fernsehen lief eine Kochsendung. Eine Parlamentsdebatte zur Gesundheitsreform. Eine Doku über sibirische Polarfüchse. Die üblichen Seifenopern des Vorabendprogramms. In den Nachrichten baten sie um Mithilfe im Fall des vermissten David.
    »… Er ist etwa ein Meter vier groß, hat hellblonde Haare und eine circa drei Zentimeter große Narbe über der linken Augenbraue. Der Junge trug zuletzt ein schwarzweiß gestreiftes T-Shirt, dunkelblaue Shorts und hellblaue Turnschuhe. Die Polizei schließt eine Entführung nicht aus. Für sachdienliche Hinweise wenden Sie sich bitte an Ihre nächste Polizeidienststelle.«
    Das eingeblendete Foto zeigte einen fröhlichen weißblonden Jungen mit einem giftgrünen Plastik-Dinosaurier in der Hand. Fiona jagte ein kalter Schauer
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