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Die Spur der Kinder

Titel: Die Spur der Kinder
Autoren: Hanna Winter
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das Blut?
    Entsetzt trat sie einen Schritt zurück. Nichts wie raus hier, dachte sie, als sie plötzlich ein schnelles, leichtfüßiges Tippeln hinter sich vernahm. Dannein scharfes Knurren. Ganz vorsichtig drehte sie sich um. Zwei stattliche Rottweiler stellten sich ihr in den Weg. Zähnefletschende, bullige Kraftpakete, bereit, jederzeit auf sie loszugehen. Annes Atem ging schneller. Erneut hörte sie die seltsamen Laute, die nun mehr wie ein Wimmern klangen. Als es Anne in ihrer Panik endlich gelang, einen klaren Gedanken zu fassen, wusste sie nicht, was schlimmer war: die Rottweiler, die sie in Schach hielten, oder die plötzliche Erkenntnis, woher die Schreie kamen.
    Sie waren direkt unter ihr.
    Ohne den Blick von den Hunden zu nehmen, streckte Anne ihre Hand seitlich nach einem Spaten aus. Plötzlich spürte sie zwei feste Hände im Nacken, die sie würgten und ruckartig nach hinten zogen. Mit aller Kraft versuchte Anne, sich loszureißen. Vergeblich. Es war ebenso sinnlos wie ihre verzweifelten Hilferufe, die im beißenden Gestank eines Stofflappens erstickten. Anne zwang sich, die Augen offen zu halten. Doch schon Sekunden später sah sie nur noch die scharf grinsenden Fratzen der Rottweiler, bevor sie in sich zusammensank.

Mittwoch,10. Juni
    (Im rund hundert Kilometer entfernten Berlin)
    Fiona Seeberg entdeckte den Schlüssel, der lose unter dem Kachelofen lag, als es an der Tür klingelte.
    »Ich geh schon!«, rief sie nach einem zweiten längeren Surren, nahm einen letzten Schluck Whisky und schob die Flasche und den Schlüssel, der ebenso gut zu einem Türschloss wie zu einem Bankschließfach passen konnte, rasch unter den Ofen zurück. Dann eilte sie zur Tür.
    Kriminalhauptkommissar Piet Karstens stand im Treppenhaus. Zwei Jahre war es her, doch der ernste Blick aus seinen blassblauen Augen versetzte Fiona noch heute schlagartig in Panik.
    Bleib ruhig, tief durchatmen.
    Im ersten Moment brachte sie nicht mehr als ein leises »Hallo« heraus, um seine Begrüßung zu erwidern.
    Karstens stellte die Kurzhaarige neben ihm als seineneue Kollegin vor. Sie trug einen moosgrünen Trenchcoat und war gut zwei Köpfe kleiner als er.
    »Frauke Behrendt mein Name«, sagte sie knapp.
    »Kommen Sie doch rein«, erwiderte Fiona und strich sich die schulterlangen hellbraunen Haare hinter die Ohren.
    Die Beamten folgten ihr durch den langen Flur der Berliner Altbauwohnung ins Wohnzimmer. Helle Designermöbel auf dunklem Fischgrätenparkett. Hohe, stuckverzierte Decken. Eine schwere Standuhr und ein alter Steinway standen am anderen Ende des Raums. Nichts erinnerte mehr daran, dass in diesem Wohnzimmer einmal ein Kind mit Babypuppen oder Stofftieren gespielt hatte. Behrendt nahm neben Fiona auf der Ledercouch Platz und betrachtete das große Gemälde, das gesichterlose Gestalten in einem verwunschenen Wald zeigte.
    Piet Karstens ließ sich in denselben Sessel wie damals sinken, und kurzzeitig nahm Fiona den vertrauten Geruch seines herben Parfums wahr.
    »Frau Seeberg … es gibt ein weiteres Opfer«, kam er gleich zur Sache. »David, ein vierjähriger Junge aus Potsdam, ist gestern spurlos aus dem Schwimmbad verschwunden.« Er machte eine kurze Pause. »Ich weiß, Sie haben Ihre Aussage damals zu Protokoll gegeben, aber ich dachte – würde es Ihnen etwas ausmachen, uns nochmals einpaar Fragen zu beantworten? Vielleicht gibt es da ja doch noch irgendetwas, das …«
    Frauke Behrendt, die einen Notizblock gezückt hatte, unterbrach ihn. »Wie schon nach der Entführung Ihrer Tochter Sophie und den anderen beiden Kindern in Süddeutschland wurde auch Davids Eltern eine weiße Lilie zugesandt.«
    Das Symbol für Reinheit und Tod .
    Allein die Bedeutung der Blume hatte Fiona nächtelang wach liegen lassen. Auf einmal musste sie an den Tag denken, an dem Sophie verschwand. Und wie Karstens kurz darauf vor der Tür stand. Den Ausdruck in seinen Augen würde sie nie vergessen. Dann die Ermittlungen, die Spurensuche. Die Zeitungsleute, die sie rund um die Uhr bedrängten. Und nun – es hatte etwas Unwirkliches – saß Fiona erneut in ihrem Wohnzimmer und sollte demselben Kommissar die gleichen Fragen wie damals beantworten.
    »Bitte, fragen Sie ruhig«, meinte Fiona, während ihr Blick auf die Narbe auf Karstens’ Handrücken fiel, die von seinem Mittelfinger bis zum Handgelenk verlief. Die musste neu sein, damals wäre sie ihr sonst sicher aufgefallen.
    Karstens räusperte sich. »Sie sagten damals, Sie waren zum
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