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Die Spur der Kinder

Titel: Die Spur der Kinder
Autoren: Hanna Winter
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Zeitpunkt, als Ihre Tochter verschwand, bei Ihren Eltern – ab wie viel Uhr war das in etwa?«
    Fiona dachte nach. »Das dürfte so gegen halb dreigewesen sein. Ich weiß es deshalb noch so genau, weil ich zuvor mit ein paar Leuten vom Verlag beim Lunch gewesen war. Anschließend bin ich direkt zu meinen Eltern nach Dahlem gefahren. Meinem Vater ging es nicht gut. Er war beim Schießen plötzlich umgekippt.«
    »Beim Schießen?«
    Sie nickte. »Tontaubenschießen. Als Kind war ich oft mit dabei. Wir haben sogar an Wettbewerben teilgenommen.« Sie senkte den Blick auf ihre im Schoß vergrabenen Hände. »Jedenfalls saß ich damals gerade bei meinen Eltern auf der Veranda, als der Anruf von Adrian kam. Und noch am gleichen Tag wurde das Päckchen mit der weißen Lilie zugestellt.«
    Karstens musterte sie. »Frau Seeberg, wurde Ihnen irgendwann vorher schon mal eine weiße Lilie oder sonst irgendeine Blume anonym zugesandt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das heißt ja. Es kam bei Lesungen schon mal vor, dass im Verlag im Nachhinein noch Blumen abgegeben wurden. Aber das waren dann ganze Sträuße«, sagte sie, bemüht, gefasst zu klingen.
    »Und ansonsten haben Sie ganz sicher keinerlei Blumen erhalten?«
    Fiona presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
    »Als Sophie damals verschwand, haben Sie laut Bericht ausgesagt, neben Ihrer schriftstellerischen Tätigkeitan der Uni als Dozentin tätig gewesen zu sein«, meldete sich Frauke Behrendt zu Wort und blätterte weiter in ihrem Notizblock. »Als junge, attraktive Dozentin wird man doch sicherlich mal den einen oder anderen Verehrer gehabt haben, oder nicht?«
    Fiona musste schlucken. »Das … das mag vielleicht stimmen. Wenn überhaupt, bekommt man so was aber nur am Rande mit. Abgesehen davon habe ich lediglich zweimal wöchentlich eine Germanistik-Vorlesung gehalten. Und das auch nur für ein halbes Jahr.«
    Kurzzeitig kam ihr das, was sich damals auf dem Campus zugetragen hatte, wieder in den Sinn. Doch das alles ging niemanden etwas an, dachte Fiona.
    Behrendt schaute von ihren Notizen auf. »Ein halbes Jahr – warum eigentlich nur so kurz?«
    »War vielleicht doch alles zu viel«, murmelte Fiona. »Ein kleines Kind, die Kurse, das Schreiben …« Und den Blick auf ihre Hände gesenkt, fügte sie hinzu: »Ich habe seitdem, seit der Sache mit Sophie, meine ich, nichts Neues mehr geschrieben.«
    Kommissar Karstens blinzelte irritiert. »Sie haben seit zwei Jahren an keinem Roman gearbeitet?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ging einfach nicht.«
    »Und was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?«, hakte Karstens nach.
    Fionaantwortete nicht.
    Der Kommissar sah sie einen Augenblick lang mitfühlend an, dann übernahm Frauke Behrendt erneut die Befragung. »Also, was haben Sie denn nun in der Zwischenzeit gemacht?«
    »Nichts«, antwortete Fiona nüchtern.
    »Gar nichts? Aber irgendwas werden Sie doch getan haben?«
    »Nein. Ich saß immer nur auf dem Spielplatz. Ich habe den Kindern beim Spielen zugeschaut. Das mache ich heute noch.«
    Die beiden Beamten tauschten einen kurzen Blick aus.
    »Hat sich Sophie vor ihrem Verschwinden irgendwie seltsam verhalten?«, fragte Behrendt weiter.
    »Nein, nicht dass ich wüsste.«
    Die Polizistin notierte sich etwas, bevor sie mit ihren Fragen fortfuhr.
    »Oder hatte sie vor irgendwas Angst?«
    Wieder schüttelte Fiona den Kopf.
    »Gab es sonst irgendetwas, das Ihnen im Nachhinein merkwürdig erschien? Hatte Sophie vor ihrem Verschwinden vielleicht öfter von irgendeinem neuen Freund oder einer neuen Freundin erzählt?«
    »Wie ich schon zu Protokoll gegeben hatte: Sophie war ein sehr introvertiertes Kind. Sie hat sich schwer damit getan, Beziehungen zu anderen Kindern aufzubauen. Abgesehen davon war sie ja auch erstzweieinhalb Jahre alt«, erklärte Fiona und sah zu Boden. Die schmerzlichen Erinnerungen brachen bei jeder weiteren Frage wie heftige Migräneattacken über sie herein. Fiona dachte an all die Tage, Wochen und Monate, in denen sie gehofft hatte, Karstens würde ihr kleines Mädchen doch noch zurückbringen. An das stundenlange Starren zum Telefon. An die wachsende Verzweiflung, die an ihr nagte wie eine Ratte an einem rohen Stück Fleisch.
    Ein undenkbar grauenvoller Zustand, der bis heute anhielt.
    Karstens gab ein Husten von sich, als Fiona den Blicken der Kriminalbeamten zur Tür folgte.
    Adrian kam ins Wohnzimmer. Er hatte sich eine beige Stoffhose und ein hellblaues Poloshirt
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