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Die Spur der Hebamme

Titel: Die Spur der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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abgesehen. Und vor all dem wilden Mannsvolk, das sich inzwischen hier niedergelassen hat, ist keine ehrbare Frau mehr sicher.«
    An dir wird sich bestimmt niemand vergreifen, schoss es dem Ritter durch den Kopf. Doch etwas musste vorgefallen sein, wenn ihm die Alte bei diesem Wetter regelrecht aufgelauert hatte, noch bevor er in seinem Haus angekommen war.
    »Ich kümmere mich darum, Griseldis«, sagte er ungeduldig.
    »Nun geh endlich wieder an deinen warmen Herd!«
    Wie es aussah, wollte der Winter in diesem Jahr kein Ende nehmen. Dabei war es schon Mitte März. Wenn der Schnee nicht bald schmolz, würde die Aussaat verspätet beginnen. Aber falls die Nachrichten zutrafen, die er in Meißen bei seinem Dienstherrn Markgraf Otto erfahren hatte, würde sein Dorf bald noch schlimmere Sorgen haben als eine verspätete Aussaat.
    »Ja, Herr. Selbstverständlich, Herr.« Eifrig verbeugte sich die Alte und humpelte davon, während der Ritter sein Pferd wieder in Bewegung setzte. Der Grauschimmel wusste längst, dass sein Stall in der Nähe war, und strebte von selbst dorthin.
    Wie jedes Mal, wenn er nach längerer Abwesenheit zurückkehrte, ließ Christian seine Blicke über die Flur schweifen und betrachtete die gewaltigen Veränderungen, die sein Dorf erfahren hatte, seit er vor knapp sechs Jahren mit einer Gruppe fränkischer Siedler hier eingetroffen war. Sie hatten ihre Heimat verlassen und waren mit ihm ins Ungewisse gezogen, um nach einer gefahrvollen Reise mitten in der Wildnis dem Dunkelwald ein Stück Land abzuringen und urbar zu machen. Doch dann war eine mächtige Ader Silbererz gefunden worden. Bald zogen Bergleute und Handwerker in so großer Zahl hierher, dass aus den ursprünglich vier Dutzend Bewohnern nun schon ein paar hundert geworden waren. Und es kamen auch Diebe, Abenteurer und Huren, mit denen es während seiner Abwesenheit wiedereinmal Ärger gegeben haben musste, wollte er Griseldis glauben.
    Männer und Frauen verbeugten sich und grüßten ehrerbietig, als sie ihren Herrn erkannten.
    Im Gegensatz zu anderen Dörfern herrschte hier keine Winterruhe. Von allen Seiten hörte er das Schlagen und Pochen der Bergleute in den Gruben, die an Stelle von Feldern die Flur prägten, das Hämmern an den Scheidebänken und in der Schmiede. Aus den Schmelzhütten am Bach drang dicker Qualm.
    Voller Vorfreude lenkte Christian den Grauschimmel auf den Hof seines Anwesens. Doch statt der erwarteten Marthe war es eine der Mägde, die ihm entgegenlief.
    Wozu hat man eine hellsichtige Frau, wenn sie nicht einmal ahnt, dass ich komme, dachte er enttäuscht.
    »Gott sei gepriesen, Ihr seid gesund zurück, Herr«, begrüßte ihn die Magd mit ehrlicher Freude.
    Er dankte ihr für das Willkommen. »Wo ist meine Frau?«
    »Es tut mir leid, Herr. Sie sagte, dass Ihr wohl heute eintreffen würdet. Wir haben Suppe auf dem Herd und heißes Wasser für ein Bad. Aber sie musste fort. Vorhin hat es in einer der Gruben ein Unglück gegeben.«
    Wenigstens ist es keine Entbindung, zu der sie gerufen wurde, dachte Christian. Dann hätte es sein können, dass er sie den ganzen Tag nicht zu sehen bekam. Doch im nächsten Augenblick schalt er sich für seine Gedanken. Vielleicht hatte es Verletzte gegeben oder sogar Tote.
    »Jemand soll ihr Bescheid sagen, dass ich da bin. Und ein heißes Bad wäre wunderbar.«
    Die Magd entfernte sich rasch, während Christian begann, seinen Hengst trockenzureiben. Der Grauschimmel war zu unberechenbar, als dass er einen der Stallburschen an ihn heranlassenkonnte. Nachdem er dem Pferd eine reichliche Portion Hafer gegeben hatte, ging er endlich ins Haus. Dort erwartete ihn schon die zehnjährige Marie, eine der beiden Stieftöchter seiner Frau aus ihrer ersten, erzwungenen und unglücklichen Ehe. Sie hatte seinen Sohn Thomas an der Hand. Scheu begrüßte Marie den Ankömmling, während der knapp Dreijährige begeistert seinem Vater entgegenstürzte. Erst umklammerte er Christians Beine, dann reckte er die Arme, um hochgenommen zu werden. Der Junge schmiegte sein Gesicht an die Wange seines Vaters, um im nächsten Augenblick zurückzuzucken und sich lautstark über die Bartstoppeln zu beschweren.
    »Nachher lasse ich mich rasieren«, versprach Christian lächelnd. Stolz und zärtlich sah er auf seinen Sohn, der ihm mit seinen schwarzen Haaren und dunklen Augen wie aus dem Gesicht geschnitten war.
    »Was macht deine Schwester?«, erkundigte er sich.
    »Schläft. Sie kann immer noch nicht laufen«,
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