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Die Sprache der Macht

Die Sprache der Macht

Titel: Die Sprache der Macht
Autoren: Matthias Noellke
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Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden. (…) Sollte es sich bei der Inhaltsfeststellung eines Wertsackes herausstellen, dass ein in einem Wertsack versackter Versackbeutel statt im Wertsack in einem der im Wertsack versackten Wertbeutel hätte versackt sein müssen, so ist die in Frage kommende Versackstelle unverzüglich zu benachrichtigen.“ (Merkblatt zu § 49 der Allgemeine Dienstanweisungen der Deutschen Bundespost von 1972).
    Das zweite Beispiel betrifft das logische Argumentieren. Es gibt eine ganze Reihe von hilfreichen Anleitungen, wie man widerspruchsfrei und wohlbegründet argumentiert (meine persönliche Empfehlung: Andreas Edmüller/Thomas Wilhelm: „Argumentieren“). In der Praxisallerdings ist es verblüffend, wie wenig von dieser Fertigkeit Gebrauch gemacht wird. Nach meinem Eindruck liegt dies weniger daran, dass die Betreffenden nicht argumentieren könnten. Sie brauchen es aber nicht zu tun, denn sie kommen mit ihrer unscharfen, emotionsgeladenen, doppelbödigen Sprache der Macht weit bequemer zum Ziel – und manchmal auch zuverlässiger.
    Die Arbeitslosen von Freising
    Vor der Bundestagswahl 2002 lieferten sich die beiden Spitzenkandidaten ein Fernsehduell: Gerhard Schröder und Edmund Stoiber. Schröder wurde vorgehalten, er habe sein Versprechen gebrochen und die Zahl der Arbeitslosen keineswegs wie angekündigt „halbiert“. Daraufhin erklärte der Amtsinhaber, dass die Zahl immerhin sinke, und fügte hinzu: „Es gibt ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit leider steigt. Und das ist Bayern.“
    Stoiber als bayerischer Ministerpräsident wollte diese Aussage nicht so stehen lassen. Immerhin gehörte die Quote in Bayern zu den niedrigsten in Deutschland. Er präsentierte Zahlen und verwies auf den Landkreis Freising, den Bezirk mit der deutschlandweit niedrigsten … Da unterbrach ihn Schröder süffisant mit den Worten: „Wir wollen doch jetzt nicht über Freising reden.“
    Mit dieser Bemerkung hatte Schröder nicht nur die Lacher auf seiner Seite. Es war ihm ein Volltreffer geglückt, denn er konnte Stoiber als kleinkarierten Erbsenzähler vorführen, der „über Freising reden“ will, anstatt sich staatsmännisch den großen Fragen zuzuwenden. Der politische Hintergrund soll uns hier nicht näher interessieren. Entscheidend ist: Schröder hat in dieser Situation punkten können. Manche Kommentatoren meinten sogar, an dieser Stelle habe sich das Duell entschieden. Und das nach einer Äußerung, die alles mögliche gewesen sein mag, aber gewiss kein Argument. Schlimmer noch (aus Sicht des logischen Argumentierens): In dieser Situation war es Stoiber kaum möglich, ein sachliches Argument dagegenzusetzen. Und am schlimmsten: Fragen Sie heute diejenigen, die damals das Duell verfolgt haben, was ihnen noch in Erinnerung geblieben ist: Die Bemerkung über „Freising“ dürfte mit deutlichem Abstand die Liste anführen.
    Konnotation und Denotation
    Wie ist so etwas möglich? Warum wirkt „Freising“ stärker als eine stringente Argumentation? Es hat damit zu tun, wie unsere Sprache funktioniert. Eben keineswegs so logisch-rational, wie viele annehmen, sondern assoziativ, sprunghaft, emotional. In diesem Zusammenhang ist eine Unterscheidung wichtig, die von den Sprachwissenschaftlerngetroffen wird: die zwischen Konnotation und Denotation. Während die Denotation die Grundbedeutung eines Wortes bezeichnet, seinen inhaltlichen Kern, ist mit der Konnotation das gemeint, was an Bedeutungen noch mitschwingt: Assoziationen, Erinnerungen, Nebensinn. Ja, als fernes Echo hallt auch der Gegenbegriff mit, wenn es einen gibt.
    Die Bedeutung der Sonne
    Sie treffen die Aussage: „Die Erde dreht sich um die Sonne.“ Als Denotation der Sonne könnte gelten: Das Zentralgestirn unseres Sonnensystems. An Konnotationen können ins Spiel kommen: Symbol für Leben und Wachstum, Ernährerin, Helligkeit, Wärme, Tag (und nicht Nacht), Sommer, Wahrheit, Aufklärung, Optimismus (sonniges Gemüt), der ewige Kreislauf der Natur. Und als Gegenbegriff kommt der Mond mit ins Spiel.
    Betrachten wir nur die Denotation, spielt es keine Rolle, ob wir sagen „die Sonne“ oder „das Zentralgestirn“. Es ist ja ein und dasselbe gemeint. Was jedoch die Konnotationen betrifft, so unterscheiden sich die beiden Begriffe ganz erheblich. Darüber hinaus verfügt „Sonne“ über ein weit gespanntes Netz an Konnotationen aus
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