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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition)
Autoren: Olen Steinhauer
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den es vor seinen Augen erwischt hatte. Daher war nicht nur Vertrauen nötig, sondern Glaube. Der feste Glaube daran, dass alles nach Plan lief und menschliches Versagen keine Rolle spielte.
    Natürlich gab es nicht nur einen Lastwagen, sondern vier. Jeder kam aus einer anderen Himmelsrichtung, und selbst wenn nur einer die Kontrollen passierte, reichte der Sprengstoff für die vier Objekte, die gleichzeitig in die Luft gehen sollten. Keine Prachtbauten wie das Vogelnest oder die Große Halle, aber trotzdem wichtige Gebäude, die nur leicht bewacht wurden. Entscheidend war die Gleichzeitigkeit. »Wie Al Kaida«, hatte Li Qide betont, um sein Wissen zu demonstrieren – als hätte Osama bin Laden das Konzept paralleler Angriffe erfunden.
    Neben Alan waren mindestens noch drei andere Kämpfer mit Präzisionsgewehren eingetroffen, die wie er in angemieteten Wohnungen gegenüber von den Hauptzielen Stellung beziehen sollten, um die anrückenden Ordnungskräfte abzufangen. Darauf hatte Alan bestanden. »Bomben sind passiv. Damit beweisen wir, dass die Jugendliga keine Angst davor hat, sich zu zeigen und zu kämpfen. Damit rechnen sie bestimmt nicht.«
    Nach einer Stunde im dichten Verkehr hatte er das Gefühl, das neue Gesicht Pekings ausreichend erforscht zu haben, und machte sich auf den Weg hinüber in den Bezirk Haidian.
    Selbst mit Li Qides englischen Anmerkungen hatte er Mühe, die Straße zu finden, doch schließlich stieß er auf das Haidian-Theater mit seiner breiten, flachen Fassade und den chinesischen Schriftzeichen an der Seite. Er durchquerte das Viertel Zhongguancun in nördlicher Richtung, vorbei an der Ring Road, bis zu einer schattigen Straße, deren Schild dem Piktogramm auf seiner Karte entsprach. Wie angekündigt war das Apartment grün gestrichen, und ein offener Torbogen führte zu einem Hof, wo er zwischen mehreren rostigen Wagen parkte. Eine alte Frau mit einer ölig schwarzen Papiertüte überquerte den Hof. Er wartete, bis sie verschwunden war, dann griff er nach dem Schraubenschlüssel unter seinem Sitz. Verstohlen schlüpfte er hinaus und ließ sich mit schmerzhaft verkrampften Beinmuskeln so weit wie möglich unter das schmutzige Auto gleiten. Er drehte an den Schrauben, und kurz darauf hatte er die rußige Katalysatorhülle in der Hand. Er zog sie heraus, stand auf, klopfte sich die Kleider ab und verriegelte die Wagentür. Wie ein Architekt seine Pläne trug er den langen Zylinder die eiserne Treppe zum vierten Stock hinauf und schloss die Tür mit der Nummer 41 auf.
    Schnell schaute er sich in dem kleinen, staubigen Apartment um: eine Küche mit zerbrochenen Fliesen, zusammengerollte Teppiche vor wasserfleckigen Wänden, ein jahrzehntealter Fernseher und Fenster, die auf eine enge Straße blickten. Gegenüber stand ein anderes Wohnhaus, das Li Qide voller Entsetzen auf Alans Zielliste entdeckt hatte. »Was ist das?«
    »Ein Büro.«
    »Nein, du hast schlechte CIA -Karten wie damals, als ihr unsere Botschaft in Belgrad bombardiert habt. Das ist ein Wohnhaus.«
    »Das stammt nicht von einer Straßenkarte, Li Qide.« Dann benutzte Alan eine kleine Notlüge. »Das ist aus einer Überwachungsaktion. Im Keller befindet sich eine Spezialeinheit des Guoanbu.«
    »Aber das darüber sind Wohnungen.«
    »Warum wurde die Abteilung wohl dort installiert? Weil sie so wichtig ist.«
    »Was macht diese Spezialeinheit?«
    »Sie plant Morde auf der ganzen Welt.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ich weiß von dreiunddreißig.«
    »Willst du mir keine Einzelheiten verraten?«
    »Doch, gern.« Dann zählte er die Namen und den Ort ihrer Ermordung auf. »Sandra Harrison in Tallinn, Pak Eun in Seoul, Lorenzo Pelligrini in Kairo, Andy Geriev in Moskau, Mia Salazar in Brasília …«
    Li Qide akzeptierte seine Begründung, genauso wie er die anderen Ziele auf der Liste akzeptiert hatte: die von Koolhaas entworfene Hauptverwaltung des Fernsehsenders Central Television an der Guanghua Road, das Büro für Öffentliche Sicherheit in der Daxing Hutong, und als einziger olympischer Austragungsort das Hauptgebäude des Ruderparks in Shunyi.
    Es war halb zwei, eine Stunde vor dem großen Moment. Er schraubte das Rohr auseinander und breitete die Gewehrteile vor sich aus. Draußen schwärmten scharenweise Leute auf Fahrrädern zu letzten Einkäufen aus, ehe sie nach Hause oder in Kneipen eilten, um die Spiele im Fernsehen zu verfolgen.
    »Es muss vor den Spielen sein«, hatte Li Qide gemahnt.
    »Ich dachte, es geht darum, die
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