Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin
Autoren: Alan Bennett
Vom Netzwerk:
gedrängt zu werden waren immer noch zwei Dinge, und zu letzterem hatte sie noch niemand aufgefordert.
    Dass die Bücher vom Schreibtisch verschwanden und er wieder so etwas wie Ihrer Majestät ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchen konnte, war Sir Kevin sehr willkommen, und mit ihm dem gesamten Haushalt. Die Pünktlichkeit der Queen blieb zwar mangelhaft, die Garderobe eine Spur nachlässig (»Diese Strickjacke würde ich verbieten«, sagte ihre Zofe), doch Sir Kevin teilte die allgemeine Ansicht, dass Ihre Majestät trotz dieser hartnäckigen Verfehlungen offenbar ihre Besessenheit von Büchern überwunden und ins normale Leben zurückgefunden hatte.
    In jenem Herbst verbrachte sie einige Tage in Sandringham, da ein königlicher Besuch in der Stadt Norwich anstand. In der Kathedrale sollte ein Gottesdienst gefeiert werden, gefolgt von einem ›Bad in der Menge‹ in der Fußgängerzone und der Eröffnung einer neuen Feuerwache, ehe sie schließlich zum Mittagessen in der Universität von East Anglia erwartet wurde.
    Dort saß sie zwischen dem Vizekanzler und dem Professor für Kreatives Schreiben und war leicht überrascht, als sich eine sehr vertraute rote Hand mit einem knochigen Gelenk über ihre Schulter schob, um den Krabbencocktail zu servieren.
    »Hallo, Norman«, sagte sie.
    »Eure Majestät«, entgegnete Norman ganz korrekt und legte auch dem Lord Lieutenant formvollendet auf, ehe er weiterging.
    »Eure Majestät kennen Seakins, Ma’am?«, fragte der Professor für Kreatives Schreiben.
    »Früher einmal«, sagte die Queen, ein wenig traurig darüber, dass Norman es anscheinend nicht weit gebracht hatte und wieder in der Küche gelandet war, wenn auch nicht in ihrer.
    »Wir fanden«, sagte der Vizekanzler, »dass es für unsere Studenten ein besonderes Vergnügen wäre, wenn sie beim Essen servieren dürften. Sie werden natürlich dafür bezahlt, und es ist mit Sicherheit eine bereichernde Erfahrung.«
    »Seakins«, sagte der Professor, »ist ein vielversprechender junger Mann. Er hat gerade seinen Abschluss gemacht und gilt als eine unserer Erfolgsgeschichten.«
    Die Queen war ein wenig verstimmt, dass Norman trotz ihres strahlenden Lächelns beim Servieren des Bœuf en croûte offenbar entschlossen war, ihrem Blick auszuweichen, ebenso beim Nachtisch, einer Poire belle Hélène. Schließlich ging ihr auf, dass Norman aus irgendeinem Grund schmollte, ein Benehmen, das sie selten antraf, höchstens bei kleinen Kindern oder Ministern ihres Kabinetts. Untertanen schmollten selten in Gegenwart der Queen, dazu hatten sie kein Recht, und vor Zeiten wären sie deswegen im Tower gelandet.
    Noch vor ein paar Jahren hätte sie gar nicht bemerkt, was Norman oder sonst jemand tat, und wenn es ihr jetzt auffiel, dann nur, weil sie mehr über menschliche Gefühle wusste und sich in die Lage anderer Menschen versetzen konnte. Aber das erklärte immer noch nicht, warum er so beleidigt war.
    »Bücher sind etwas Herrliches, nicht wahr?«, sagte sie zum Vizekanzler, der zustimmte.
    »Auch wenn sich das vielleicht eher nach einem Steak anhört«, fuhr sie fort, »sie machen einen zarter.«
    Wieder stimmte er zu, obwohl er keine Ahnung hatte, worauf sie hinauswollte.
    »Ob Sie«, und damit wandte sie sich an ihren anderen Tischherrn, »als Lehrer für Kreatives Schreiben wohl zustimmen würden, dass, wenn Lesen einen weicher macht, Schreiben das Gegenteil bewirkt? Zum Schreiben muss man hart sein, oder?« Der Professor war überrascht, über sein Fachgebiet sprechen zu müssen, und so fehlten ihm einen Augenblick die Worte. Die Queen wartete. »Sagen Sie es mir«, wollte sie drängen. »Sagen Sie mir, dass ich Recht habe.« Aber nun erhob sich der Lord Lieutenant, um sie willkommen zu heißen, und alle Gäste erhoben sich mit ihm. Niemand würde es ihr sagen, dachte sie. Wie das Lesen würde sie auch das Schreiben auf eigene Faust angehen müssen.
    Aber nicht ganz, und so wird nach dem Essen nach Norman gesandt, und die Queen, deren Verspätungen inzwischen sprichwörtlich sind und im Zeitplan berücksichtigt werden, lässt sich eine halbe Stunde lang von seiner akademischen Laufbahn berichten, auch über die Umstände, die ihn an die Universität von East Anglia gebracht haben. Es wird vereinbart, dass er am nächsten Tag nach Sandringham kommen soll, denn die Queen ist der Meinung, da er nun zu schreiben begonnen hat, kann er womöglich wieder von Nutzen sein.
    Von einem Tag auf den anderen entließ sie jedoch jemand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher