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Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin
Autoren: Alan Bennett
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hatten.
    »Man hat zahlreiche Staatsoberhäupter getroffen und sogar bewirtet, von denen einige unsägliche Schurken und Kanaillen waren, und ihre Gattinnen kaum besser als sie.« Das immerhin wurde mit schuldbewusstem Kopfnicken quittiert.
    »Man hat mit seinen Glacehandschuhen bluttriefende Hände geschüttelt, man hat höflich mit Männern parliert, die eigenhändig Kinder hingemetzelt haben. Man ist durch Blut und Exkremente gewatet; als Königin, so habe ich oft gedacht, bräuchte man vor allem hüfthohe wasserdichte Stiefel. Mir wird oft ein gesunder Menschenverstand nachgesagt, aber das heißt im Grunde nur, dass man mir sonst nicht viel mehr zutraut, und folgerichtig habe ich auf Betreiben meiner verschiedenen Regierungen oft, wenn auch nur passiv, an Entscheidungen mitwirken müssen, die ich für wenig ratsam und oft schändlich erachtete. Manchmal ist man sich dabei vorgekommen wie eine Duftkerze, die einen Regierungsentscheid oder eine bestimmte Politik versüßen oder gar vernebeln soll. Der Monarchie scheint dieser Tage vor allem die Rolle eines Regierungsdeodorants zuzukommen. Ich bin die Königin und das Oberhaupt des Commonwealth, doch gab es in den letzten fünfzig Jahren Zeiten, in denen ich darüber weniger Stolz als Scham empfand. Aber«, und damit erhob sie sich, »wir wollen nicht die Prioritäten aus den Augen verlieren, es handelt sich hier schließlich um eine Feier, wäre also, bevor ich fortfahre, etwas Champagner genehm?«
    Der Champagner war superb, doch als der Premierminister sah, dass es sich bei einem der servierenden Pagen um Norman handelte, verdarb ihm das den Genuss, und er schlüpfte rasch hinaus zur nächsten Toilette, wo er mit dem Mobiltelefon den Generalstaatsanwalt anrief. Der Jurist konnte ihn weitgehend beruhigen, und durch dessen Rechtsauskunft ermutigt, verbreitete der Premierminister die frohe Kunde unter seinen Kabinettsmitgliedern. Als Ihre Majestät also schließlich in den Saal zurückkehrte, traf sie auf ein kampfeslustigeres Publikum.
    »Wir haben uns über Ihre Bemerkungen unterhalten, Ma’am«, hob der Premierminister an.
    »Alles zu seiner Zeit«, sagte die Queen. »Ich bin noch nicht ganz fertig. Sie sollen nicht glauben, was ich zu schreiben beabsichtige und auch schon begonnen habe, sei irgendein billiger Enthüllungsunsinn über das wahre Leben im Palast, wie ihn die Regenbogenpresse so liebt. Nein. Ich habe noch nie ein Buch geschrieben, aber ich hoffe doch, dieses wird«, sie legte eine Pause ein, »über seinen unmittelbaren Bezug hinausgehen und für sich allein stehen, eine Randgeschichte seiner Zeit werden und sich, um Sie ein wenig zu beruhigen, gewiss nicht ausschließlich mit Politik und den historischen Ereignissen meiner Lebenszeit befassen. Ich möchte auch über Bücher und Menschen schreiben. Ein Buch der Umwege. Ich glaube, E. M. Forster hat gesagt: ›Sag Wahrheit ganz, doch sag sie schief – der Umweg bringt Gewinn.‹ Oder war das«, fragte sie wieder in die Runde, »Emily Dickinson?«
    Wenig überraschend kam aus der Runde keine Antwort.
    »Aber man sollte nicht so viel darüber reden, sonst wird es nie geschrieben.«
    Es war dem Premierminister kein Trost, dass die meisten Leute, die ein Buch schreiben zu wollen behaupteten, es zwar nie geschrieben bekamen, dass man aber bei der Queen und ihrem schrecklichen Pflichtgefühl todsicher sein konnte, sie würde es auch tun.
    »Nun, Herr Premierminister«, und sie wandte sich mit heiterer Miene an ihn, »Sie wollten gerade etwas sagen?«
    Der Premierminister erhob sich. »Auch wenn wir Ihren Absichten großen Respekt entgegenbringen, Ma’am«, sein Tonfall war entspannt und freundlich, »so möchte ich Sie doch daran erinnern, dass Sie eine einzigartige Stellung bekleiden.«
    »Das vergesse ich nur selten«, sagte die Queen. »Fahren Sie fort.«
    »Der amtierende Monarch hat, kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten, noch nie ein Buch veröffentlicht.«
    Die Queen wedelte mit dem Zeigefinger in seine Richtung und merkte dabei, dass diese Geste ein bekannter Manierismus Noël Cowards gewesen war. »Das ist nicht ganz richtig, Herr Premierminister. Mein Vorfahr Henry VIII. hat zum Beispiel ein Buch geschrieben. Gegen die Ketzerei. Darum trägt man heute noch den Titel Verteidiger des Glaubens. Und auch meine namensgleiche Vorgängerin Elizabeth I. hat ein Buch verfasst.«
    Der Premierminister wollte protestieren.
    »Schon gut, ich weiß, das ist nicht ganz dasselbe, aber meine Urgroßmutter
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