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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition)
Autoren: Marion Poschmann
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den Augenhöhlen und erkundigte sich nach den Lebensdaten des Grafen. Nach seiner Bedeutung, seinen Aktivitäten, seiner historischen Wirkung. Ich wußte nichts darüber, der Graf war unbedeutend, es störte mich, daß Odilo sich überhaupt damit befaßte. Als wir weitergingen, hatte er, das sah ich genau, die Haltung des steinernen Schloßherren eingenommen; Blick in die Ferne, das Kinn erhoben, die Arme verschränkt.
    Der Schwanenteich lag verlassen da. Hinter ihm erhob sich düster und feucht die von Frau Dr. Z. so bezeichnete Grotte. Kein Vogel, überhaupt kein lebendes Geschöpf in der Nähe, nur Frau X. stand am Zaun und warf unverdrossen Brotbröckchen ins Wasser. Ihr Gesicht braunäugig, witternd, wie der schmale Kopf eines Rehs. Wir stellten uns neben sie auf die mürben Blätter vom Vorjahr, sie drückte Odilo etwas Brot in die Hand. Er schleuderte es hochmütig in den Teich. Er stützte die Ellbogen auf den Zaun und beschmutzte seine Jacke mit Vogeldreck. Frau X. fand ein Papiertaschentuch in ihrem Mantel und reichte es ihm. Er nahm es nicht. Sie griff seinen Ärmel und wischte daran herum; er ließ es ohne Widerstand geschehen. Starrte auf die Algen, die grünhaarig auftrieben. Auf einen öligen Teich voller Wasserleichen.
    Ja, er hatte etwas Herrschaftliches erwartet, einen Nachmittag voll Harmonie und Eleganz.
    Statt dessen Grünspan, moosige Urnen im Dickicht, ein unscharfer Park.
    Ja, er habe geglaubt, aus mir sei etwas geworden. Eine harmonische Persönlichkeit in verantwortungsvoller Tätigkeit, umgeben von Standbild, Ziervase, Formbusch.
    Statt dessen durchs kniehohe Wasser mit dem Aktenkoffer, durch die ewige Schilfnacht von der Arbeit nach Hause. Dieser klassische Gang mit Stullentasche, verschwitztem Hemd, auf die Warnblinkanlage zu. Durchs Wasser gehen, unentwegt durchs Wasser.
    Ja, er begegne den Patienten mit einem gewissen Respekt. Er sei zwar davon ausgegangen, daß es auf die äußeren Umstände nicht ankomme. Daß man am Ende immer in der Lage sei, sich zusammenzureißen, klüger zu werden und nachzugeben. Aber er achte ihre beleidigte Weisheit und trübe Bemühung, ihre vergebliche Lebenserfahrung, ihre übermäßige Empfindsamkeit, ihren Konflikt.
    Ja, er habe gehofft. Neues Leben blüht aus den Ruinen, usw.
    Statt dessen ein Park voll historisch-politischer Zitate, ein ruinierter Park, ruinöse Garten-und-Park-Reste, vollgestopft mit den Trümmern der Revolution.
    Er spuckte ein wenig beim Sprechen, er fragte: Fühlst du dich hier wirklich wohl?
    Ich schloß die Hände um die Gitterbrüstung, drückte sie fest auf rauhe Farbe und rostige Pocken. Ich sah winzige Speicheltropfen, die aufblitzten, einen Bogen beschrieben, ins Wasser sanken.
    Will man so leben? Von Versagern umringt? In einer heruntergekommenen Architektur, Abbild des Scheiterns einer ganzen Epoche?
    Brüsk wandte er sich vom Teich ab und nahm Abstand von Frau X., nahm Abstand auch von mir. Von hinten sah ich die Falte, die der steife Hemdkragen in seinen ausrasierten Nacken drückte. Ich nickte Frau X. zu, die ihr Taschentuch auf das Geländer gebreitet hatte und jetzt die Hände darauf ruhen ließ, ich bemühte mich, Odilo einzuholen.
    Er war blaß, fast so blaß wie ich, der ich als natürliche Hautfarbe die Totenblässe der Rothaarigen aufweise. Unter seinen Augen tiefe Ränder; er schien mir überarbeitet, er schien mir angegriffen. Ununterbrochen sprach er über Dinge, die ihn nur geringfügig interessierten. Ereiferte sich über Sachverhalte, die ihn nichts angingen, nur um über das, was ihn angegangen wäre, nicht reden zu müssen. Ich ging neben ihm her, und die Spannung, in der sein Körper steckte, griff immer mehr auf mich über.
    Ich versteifte mich, biß die Zähne zusammen, überlegte kurz, wie es wäre, den Arm um ihn zu legen, verwarf das sofort. Ein Handschlag war das höchste der Gefühle. Er sprach immer schneller, gleichgültig worüber, panisch, verbohrt, mir fiel es schwer, mich auf seinen Redeschwall zu konzentrieren.
    Ich konnte nicht umhin, mir vorzuhalten, daß diese Umgebung, daß mein neues Leben auf sein hochtrabendes Gemüt einen unangenehmen Eindruck gemacht hatten. Daß die Allgegenwart der Patienten eine Beeinträchtigung darstellte, der er nicht gewachsen war.
    Fürsorglich rückte ich etwas näher an ihn heran. Er wich mir aus, machte ein paar hilflose Schritte über die aufgeweichte Wiese, durch den Dreck. Ein verschrecktes Pferd: Ich verspürte den Impuls, ihm auf der flachen Hand ein
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