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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition)
Autoren: Marion Poschmann
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seinem Blick aus dem Fenster folgen konnte. Unmengen von Lanzettblättern draußen, langflatternd und schwarz im Wind. Sie türmten sich, verhüllten etwas, eine immer höher steigende Laubsäule.
    Gummistiefelwetter. Ich holte aus meinem Kühlschrank zwei Dosen Ingwerbier, er zuckte zusammen, als der Verschluß knackte. An diesem Tag wurde es nicht richtig hell. Wir saßen eine Weile im Schein der Schreibtischlampe, unsere Schatten an der Wand schwangere Ratten und Maulwürfe, wir prosteten den schwarzen Blättern zu, der Säule, die aufstieg und dann, Schlächterseele in Rüschenbluse, heimtückisch wieder in sich zusammenfiel.
    Seine Zerrissenheit, sein Fremdkörpergefühl waren für mich beinah physisch zu spüren. Auch ich begann, mich auf meinem Sitz zu winden, getrieben von einem grundsätzlichen Unbehagen, beklemmender Enge, dem Drang, die eigenen Körperwände zu übersteigen, auf jede mögliche Weise einen Ausweg zu suchen, auch auf Kosten der eigenen Unversehrtheit. Ich atmete tiefer, sah ihn verständnisvoll an, wahrscheinlich ein Fehler.
    Ich erwartete ein Bekenntnis, etwa in Hinblick auf sein stets virulentes Mutterproblem, ich erwartete etwas wie: Er fürchte sich vor sich selbst, vor einem Gewaltverbrechen, einer nicht wiedergutzumachenden Tat. Oder: Er leide unter dem Zwang, aus sich herausgehen zu wollen, es nicht zu dürfen, aufgrund der Entscheidung einer unbekannten Instanz. Oder: Die Durchschnittlichkeit der Verhältnisse, die unzureichendeAusstattung seiner Person, die Mangelhaftigkeit seiner charakterlichen Bildung wolle er nicht als Behinderung betrachten, sie sporne ihn an. Er wehre sich dagegen, dem inneren Sog nachzugeben und zu scheitern, Scheitern sei leicht.
    Ganz selbstverständlich erwartete ich, daß er sich mir als Freund, als Psychiater anvertrauen würde; allein, er brachte es angesichts der niederschmetternden Umgebung nicht fertig.
    Statt dessen sprachen wir über Belanglosigkeiten. Sprachen so vor uns hin.
    Er seinerseits residiere während seiner Symposien zur Biolumineszenz oft genug in Schlössern. Auch die Feiern mit seinen begüterten Freunden fänden nicht selten in Schlössern statt. Diese Schlösser, nebenbei bemerkt, seien tipptopp, denkmalgerecht restauriert, an ihnen gebe es nichts auszusetzen.
    Ich erzähle ihm von den besonderen therapeutischen Anstrengungen, die in unserer Einrichtung gemacht werden.
    Einwand: Müssen die psychisch Kranken ausgerechnet in einem Schloß wohnen? Die bauliche Substanz sei wenig geeignet, den Bedürfnissen einer solchen Einrichtung zu entsprechen; unübersichtlich, schlecht zu heizen, baufällig, unfreundlich eingerichtet.
    Ich erwähne beflissen, was die Patienten gerne tun. Heute werden sie vorgezeichnete Tierfiguren ausmalen, sie ausschneiden, aufkleben.
    Er: Wäre das Schloß, letztlich eine Perle unter den preußischen Spätbarockschlössern, noch zu retten?
    Ich: Unsere Aufgabe sähen wir darin, den Patienten auch ein minimales barockes Lebensgefühl zu vermitteln. Die vorteilhafte Wirkung von Muße und ein wenig Überfluß, von schönem Schein und all den repräsentativen Äußerlichkeiten, nach denen man sich hier wohl gesehnt habe, gehöre zu den Credos unserer Klinik.
    These: Während wir drüben ungerührt Gelsenkirchener Barock pflegten und die ästhetischen Vorgaben des Bauhauses kollektiv ignorierten, wurde hüben, wo man die ästhetischen Vorgaben des Bauhauses als Staatsreligion gehandhabt hatte, nach der Wende eine Schleuse geöffnet und alles mit Gelsenkirchener Barock überschwemmt.
    Antithese: Auch zu DDR-Zeiten habe man durchaus klobiges, überladenes Mobiliar in zu kleine Wohnungen gepfercht, darin den Wunsch ausdrückend, zur bessergestellten Schicht zu gehören.
    Er: erlaube sich die Bemerkung, daß es zu DDR-Zeiten offiziell gar keine bessergestellte Schicht gab.
    Ich: gebe zu bedenken, daß dieses Schloß seine marginale Bedeutung aus einer nicht sonderlich ruhmreichen Vergangenheit ziehe. Ein haltloser Ort, gehalten allein von den zahllosen Schloßgeschichten Europas, die letztlich Gespenstergeschichten seien.
    Er: ein hypothetischer, halluzinierter Ort?
    Ich: ein Erinnerungsort.
    Er: ein Wohnort, an dem die Gesellschaft endgültig versacke.
    Ich: behaupte, das Schloß sei doch vorderhand ein Ort der Schonung, ein Rückzugsort.
    Er: ganz im Gegenteil, es sei eine Immobilie wie ein Elektroschock.
    Die Unterhaltung führte zu nichts.
    Odilo sprach zu mir wie hinter Glas. Ich jedoch flog unaufhörlich auf ihn
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