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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition)
Autoren: Marion Poschmann
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Zweige.
    Der Hausmeister legt die Heckenschere beiseite. Er hat begonnen, sich in den Rhythmus der völlig verwachsenen Hecken hineinzudenken, hat an einer Stelle aus der Heckenverschwendung ein Stück herausgeschnitten, darüber geflucht, daß er nicht über geeignetes Gerät verfügt. Der Hausmeister steht im Wind, steckt eine Hand in die Tasche, legt eine Kunstpause ein.
    Hier fehlt der Himmelsstrich, hatte Odilo gesagt, als er unserer ungepflegten Allee ansichtig wurde, und ich hatte nur genickt und zustimmend gebrummt und erst später erfahren, was ein Himmelsstrich ist, nämlich als Frau Dr. Z. davon sprach, irgendwann in fernerer Zukunft die Bäume so zu beschneiden, daß ihre linearisch gestutzten Kronen die Sichtachsen unterstrichen.
    Der Wind bläst durch die Rohre eines Metallgatters. Ein dumpfes graues Pfeifen ertönt, orgelt ungewiß, als hörte ich es mit dem inneren Ohr, orgelt ungewiß irgendwo in mir wie Magenknurren.
    Der Hausmeister sammelt an der Pferdestallruine Meisenknödel ein, die die Meisen den Winter über nicht angerührt haben. Mit der ihm eigenen Sturheit bringt er jetzt Nistkästen an. Ich verkneife es mir, ihn darauf hinzuweisen, daß die Meisen diese Stelle offensichtlich nicht schätzen. Die alten Pferdeställe sind gekachelt wie Naßzellen. Reste von verfaultem Stroh drängen sich am Fuß der türkis gefliesten Trennwände. Türen öffnen sich zum Feldrand. Hier endet unser Gelände. Ende der Jagd.
    Ich habe die Sonne im Rücken, so daß ich alles in ihrem Licht sehe. Nur da, wo mein Körper sie hemmt, fällt Schatten auf meinen Weg. Es wäre besser, durchlässig zu sein für sie, rötliches Inkarnat, dessen Aufgabe darin besteht, durchglüht zu werden. So aber bin ich nur ein Hindernis, ein Schleier, der sich vor die Welt schiebt, ständig.
    Ich habe die Sonne im Rücken, so daß ich alles in ihrem Licht sehe. Ich spüre ihre Strahlen, sie haken sich in meinem Mantel fest, und ich weiß, ich werde die Sonne hinter mir herziehen, die angeschlagene Sonne mit jedem Schritt weiterziehen, wie ich auch Odilo, als wäre er der Sonnenwagen, jeden Tag einmal um die Welt ziehe, ihn so weiterexistieren lasse, schwere, mühsame Aufgabe des Erinnerns.
    Ich sehe ihn von hinten, er wendet der Sonne den Rücken zu. Die Strahlen dringen durch seine Jacke, sie krallen sich in seinen Nacken, heiß wie Metall im Fleisch. Dann dreht sich das Bild zur Seite, ich sehe ihn im Profil, er geht etwas vorgebeugt, mit hängenden Schultern, ich sehe auch ihn die Sonne ziehen, sehe, wie er sich stetig durch den leeren Raum bewegt, sehe ihn, wie ihm die Sonne gleichmäßig folgt.
    Ich spiegele mich in der frisch ausgetriebenen Krone einer Birke, die sich selbständig neben dem Parkplatz angesiedelt hat. Ich spiegele mich im Flimmern der jungen Belaubung, im Schillern und Rieseln und Splittern, alles glänzt, als würde ich selbst dieses Licht aussenden, übertrieben hell und dann wieder zerscherbend, alles glänzt zu sehr, blendet mich, immer gleißender, bis ich nichts mehr erkennen kann.
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