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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition)
Autoren: Marion Poschmann
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bescheidenes Leben weiter und kaufte mir einen Kleinwagen. Ich begann, Erlkönige zu jagen.
    Historische Makulaturtapete
    Es waren die Jahre, in denen ich, einem äußerst gedrängten Stundenplan folgend, auf meinem Weg zu den Lehrveranstaltungen die immer gleichen Stadtstraßen abfuhr, Straßen mit überladenen Fassaden im Zuckerbäckerstil, Straßen, die mich mit ihrer adretten Häuslichkeit, ihrer Versuchsküchenhaftigkeit, ihrer Schulkochbuchmäßigkeit verseuchten, Jahre, in denen ich täglich am letzten Domizil des irre gewordenen Musikers Schumann vorbeikam, der Heilanstalt Endenich. Für einen angehenden Psychiater schien mir das ein Omen, wenn ich auch nicht sicher war, wofür. Meine künftige Tätigkeit kam mir angesichts der dürftigen Heilerfolge bei Geisteskrankheiten damals oft drückend und überflüssig vor. Robert Schumann, Ludwig van Beethoven, Friedrich Nietzsche – alle fähigen Personen, die mit Bonn in Kontakt kamen, endeten bekanntlich in völliger Zerrüttung.
    Einem halb religiösen Bedürfnis folgend, nahm ich mir regelmäßig nach der Mensa eine Stunde Zeit und besuchte Schumanns Zimmer. Die Räume der Heilanstalt beherbergten inzwischen die Musikbibliothek der Stadt, nur Schumanns Zimmer im Obergeschoß hatte eine museale Konservierung erfahren. Ein honiggelb getünchtes, anheimelndes Zimmer mit angenehm knarrendem Holzboden; der Ausblick auf Bonn und den Kreuzberg, der zu Schumanns Zeit eine gewisse erleichternde Weite erbracht haben mußte, war inzwischen verbaut. Von den Tobezellen im Park (kleinen Häuschen, in denen die Patienten ans Bett gefesselt lagen, bis sie ruhiger wurden) war nichts mehr zu sehen, auch die winzigen Krankenkammern für weniger privilegierte Patienten, der Empfangsraum und das Untersuchungszimmer waren nicht mehr vorhanden. Noch erhalten: das Schumannsche Vorzimmer, in dem ein Pfleger über ihn gewacht hatte, sowie das Tafelklavier.
    Im Schumannzimmer dominierte die honiggelbe Tapete, dominierte alles mit ihrem klebrigen Charme. Schumann hatte in diesem Zimmer keine Nahrung mehr zu sich genommen, weil er glaubte, sie sei vergiftet. Schumann war in den Rhein gesprungen, um sich das Leben zu nehmen. Schumann hörte geisterhafte Klänge, er wähnte sich von Geistern umgeben, die ihm Musik eingaben, himmlisch schöne sowie höllisch schreckliche Musik.
    Waschbare Fondtapete mit bläulichen Streublumen
    Lange Stunden habe ich an unserem Küchentisch gesessen und mit einem Buntstift auf kariertes Papier gezeichnet, immer wieder zur Tapete aufgeblickt, und wenn später in meinemLeben der Ausdruck blümerant fiel, dachte ich, er bezeichne dieses Tapetengefühl: dort gesessen zu haben seit meiner Säuglingszeit , seit der Kinderwagenaufsatz mit mir darin auf dem Tisch stand, meine Mutter mich aufrichtete und ich beidhändig, breit lachend, auf die Wand patschte; dieses Gefühl, seither, mit den Unterbrechungen eines anderen Lebens, in dieser Küche gesessen zu haben, vor meinen Schulheften, vor meinem Malblock, dort gesessen zu haben, solange ich denken kann.
    Ich zeichnete an reglosen Nachmittagen die Gemüsewerbung aus den Wurfsendungen ab, ich zeichnete eine Stillebentapete mit Wildbret und Früchten, ich zeichnete Apfel- und Birnentapete, Kirsch- und Pfirsichdekor.
    Meine Mutter besuchte alte Leute aus der Kirchengemeinde im Krankenhaus, und ich zeichnete einen Abwehrzauber, ich wollte Fülle und Opulenz beschwören, aber meine Kinderkritzeleien taugten nicht einmal für mich selbst. Ich saß vor spärlich hingeworfenen Blümchen, vor Armut, Gebet und Gehorsam – Klosterküche, blaublumige Küche, eine Küche wie aus dünnem Porzellan. Ich hatte Angst, mich in dieser Küche zu bewegen, ich fürchtete mich, die Töpfe und Teller zu berühren, als könnte ich eine Oberflächenspannung zerstören, die diesen Raum noch eine Weile in seiner Form hielt. Streublümchen, Mehlsuppen, Himbeersaft – was blieb, war die Himbeersafttapete meiner Kindheit, Milch mit Haut, weichgekochte Eier, Zichorienkaffee. Was blieb, waren Fastenspeisen, Enthaltsamkeit, Schonkost; als halte man sich zeitlebens inmitten einer Krankheit auf.
    Korktapete
    Ich war einer jener dicken kleinen Jungen, altklug und übereifrig, die heiße Sommertage in ihrem Kellerlabor verbringen und gegen Abend in weißem Kittel auf die Wiese rennen, einEtwas mit enormer Rauchentwicklung am ausgestreckten Arm haltend, um es unter freiem Himmel explodieren zu lassen. Ich gehörte zu den Jungen, die monatelang mit
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