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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition)
Autoren: Marion Poschmann
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ich hatte nicht die Kraft, das Ansinnen abzuschlagen, aber dann saß ich nächtelang vor dem weißen Blatt und fand keinen Anfang, überhaupt keinen Ansatz, ich wußte nichts über Odilo, gar nichts, und es lag mir nicht, die glänzende Fassade, an der er sein Leben lang gearbeitet hatte, diese Fassade, die sein Leben war, nun meinerseits noch einmal nachzuarbeiten. Am Telefon deutete Frau Leonberger meine Verwirrung, meine Beklemmung, den nur mühsam unterdrückten Ärger als von Trauer überwältigt und meine belegte Stimme als tränenerstickt, und sie sah sich gezwungen, meine Verweigerung zu akzeptieren, ja mir in besonderer Weise Mut zuzusprechen für meinen weiteren Lebensweg, der ohne ihren Sohn nur ein unbedeutender, farbloser, verzweifelter sein konnte.
    Erfolgreich abgeschlossen, schmetterte der Redner, hochgebildet, brillierte in, Eleonore Leonberger hatte ihn gut instruiert.
    Auf den schwarzen Autos, den Lackschuhen, dem Sarg lag diese blendende Schicht, diese irritierende Spiegelung, ein Lichtermeer, ein Abglanz, etwas Helles, Grelles, das ich nicht ansehen konnte, ohne daß mir die Augen tränten.
    Odilo Leonberger, geboren, gestorben, promoviert, Biologe, aussichtsreiche Karriere, ledig, mutmaßlich kinderlos.
    Ein paar Urkunden, ein paar Vortragstexte, ein paar bahnbrechende Forschungsergebnisse. Von seinem Leben war nichts übriggeblieben.
    Noch einmal ergriffen die Streicher ihre Instrumente, dasPublikum ballte die Faust ums Papiertaschentuch, ich war derjenige, der sich bereits nach den ersten Tönen hemmungslos schneuzte.
    Heulen und Zähneklappern um den Sarg, während seine polierte Oberfläche wie undurchdringlich lächelte, ein körperloses Lächeln, das den unansehnlichen Körper im Innern ersetzte oder verschleierte, der Schmelz lenkte von ihm ab, er war verführerisch, beweglich, ließ sich nicht fixieren, er lockte und blendete, eine sinnlose Korona um den unsichtbaren Schmerzensmann oder vielmehr seine zerquetschten Reste, die man mit einem Schneidbrenner aus dem Blech hatte trennen müssen und niemandem mehr zeigte. Ich habe diesen Körper also nicht mehr gesehen, einmal kurz habe ich versucht, ihn mir vorzustellen, um das Bild dann rigoros zu verdrängen – als sei all der psychische Druck, der auf Odilo sein Leben lang gelastet hat, ins Physische umgeschlagen, und als habe sich daran wieder gezeigt, daß das Fleisch schwächer ist als der Geist, konnte sein Körper dem, was die sogenannte Seele über Jahre hinweg ohne merklichen Schaden ertragen hatte, in keiner Weise standhalten.
    Ich hatte meine schwarzen Lacklederschuhe am Vorabend besonders gründlich geputzt. Es sind meine Beerdigungsschuhe. Normalerweise trage ich Braun, Schwarz steht mir nicht, es nimmt mir den Schwung. Während der Redner sprach, blickte ich andächtig auf meine Schuhe. Es störte mich, daß sie vom Staub des Kieswegs überpudert waren, fast kam es mir vor, als mache dieser Staub die ganze Feierlichkeit zunichte. Ich stellte versuchsweise einen Fuß auf die gepolsterte Kniebank, brachte es aber nicht über mich, mich vorzubeugen und den Schuh mit meinem Taschentuch abzuwischen. Ich würde keuchen müssen bei dieser Operation, ich würde mit rotem Gesicht von der Kniebank auftauchen, es lag mir nichts daran, den Nebenstehenden ein pietätloses Schauspiel zu bieten, daher hob ich den Fuß verstohlen an die Wade und wischte das Schuhleder an meiner Anzughose ab.
    Die schwarzglänzenden Gegenstände dieses Vormittags, der gewölbte Spann der Schuhe, die Kühlerhauben und Kotflügel, der geschwungene Deckel des sogenannten letzten Gefährts schoben sich übereinander und rundeten sich. Schwarze Kugelform, Reichsapfel, Weltkugel, barocke Gottesform, die einzige Form, die man dem an sich Formlosen grundsätzlich zugestand, in der man sich die Engel dachte, sphärisch, harmonisch, in sich selbst zurückführend, autonom; schwarze Sonne, die kein Licht ausstrahlte, die das Licht vielmehr in sich zurücknahm, in die auch Odilo sich jetzt zurückgezogen hatte, unangreifbar, perfekt. Selbst in seinem Tod schien er es so einzurichten, daß man ihn beneidete.
    Die Trauergäste wie in einem Spiegelkabinett: peinlich verzerrt, gestreckt und gestaucht, Figuren in einer Blase, mit übermäßigen Bäuchen, langen Hälsen, die Rundungen in Regenbogenstreifen schillernd, Menschen in Anzügen und Kostümen durch einen Wassertropfen gesehen, ich konnte niemanden von ihnen erkennen.
    Meine Schwester sah ich erst am Ausgang. Sie
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