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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
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soweit ich mich erinnere, sind in der Zwischenzeit viele Krieger gestorben.«
    »Die Schwierigkeit liegt darin, daß Romulus nie die Abbitte hören wird, die er hören müßte«, antwortete Remus und stellte fest, daß er sich mit der verzogenen Frau samt ihrer Unsitten schneller und besser verstand als mit dem gesamten Rest seiner Familie. Er fand das höchst beunruhigend.
    »Deswegen hat er trotzdem kein Recht, das an allen anderen Menschen auszulassen.«

    Als sie dem Fluß bis in eine sumpfige Gegend inmitten des unzugänglichsten Hügellandes gefolgt waren und sich Romulus ausgerechnet hier in den Kopf setzte, seine Stadt zu gründen, hielt Remus die Zeit für gekommen, Anthos Ratschlag zu befolgen.
    »Ich will nicht behaupten, daß die Hügel ein schlechter Einfall wären«, meinte er so ruhig und gelassen wie möglich. »Wenn man sie ordentlich befestigt, sind sie gut zu verteidigen. Aber bei den Städten im Nildelta haben sie lange gebraucht, um das Wasser so abzusenken, daß der Boden nicht mehr sumpfig war, und ich habe selbst nicht ganz verstanden, wie sie es gemacht haben, obwohl einer der Ägypter es mir erklärt hat.«
    »Du verstehst nie etwas.«
    Remus ermahnte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Worauf es mir ankommt, ist, daß du mir zuhörst. Daß wir über eine solche Entscheidung sprechen, ehe sie getroffen wird. Falls du es vergessen haben solltest: Du bist kein König.«
    »Noch nicht«, entgegnete Romulus, »und ich habe nichts vergessen. Gar nichts. Allerdings gibt es in der Tat etwas zu besprechen. Wir können so nicht weitermachen. Es kann nur einen Anführer geben, ganz abgesehen davon, daß ich deine gönnerhafte Art satt habe, dein ach so umsichtiges Benehmen, und um es mit einem Wort zu sagen: dich.«
    Es tat weh, nicht so sehr wie die Geschehnisse von Alba, aber es kam dem sehr nahe. Es half nichts mehr, sich vor Augen zu halten, daß Romulus krank war. Romulus wußte, was er sagte, er sagte es mit Absicht, und sein Ziel lag darin, ihr brüderliches Band in den Staub zu treten.
    »Romulus«, sagte Remus erschüttert, »wir sind Zwillinge.«
    »Ja, das sind wir. Und seit meiner Geburt muß ich damit leben, dich als Schattenspender zu haben. Aber nicht mehr länger, Remus. Hier trennen sich unsere Wege, und ganz ehrlich, ich kann es kaum abwarten, mich nicht mehr mit einem gefühlsseligen Tölpel belasten zu müssen, der sich einbildet, mich zu verstehen.«
    In Remus öffnete sich etwas wie eine giftige Beule, und der Eiter, der sich seit Wochen darin aufgestaut hatte, quoll hervor.
    »Du bist nicht so schwer zu verstehen, wie du glaubst. Sogar Antho bringt es fertig. Du bist nichts als ein tobsüchtiges Kind, und wenn du dir einbildest, daß ich mir noch mehr von dir gefallen lasse, dann täuschst du dich.«
    Mittlerweile waren die meisten ihrer Gefolgsleute, auch diejenigen, die eigentlich die Tiere versorgen und das Lager aufbauen sollten, auf den Streit der Brüder aufmerksam geworden. Einige starrten zu ihnen herüber, andere näherten sich ihnen, bis sie einen Halbkreis um die Zwillinge bildeten.
    »Was berechtigt dich eigentlich zu der Überzeugung, daß die Welt dir einen Thron schuldet? Als du das letzte Mal einen hättest haben können, hast du ihn einem Fremden in den Rachen geworfen, und warum? Nur um deine kranken Bedürfnisse ihr gegenüber auszuleben. Du hast nicht einen Gedanken daran verschwendet, ob es gut für die Bewohner von Alba wäre oder für mich. Es war auch mein Thron, und im Gegensatz zu dir habe ich mich jahrelang darauf vorbereitet. Wenn hier jemandem etwas geschuldet wird, dann mir. Zumindest weiß ich, was Verantwortung bedeutet.«
    »Mein verantwortungsbewußter Bruder«, sagte Romulus und lächelte, ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Ein eigenartiges Licht glitzerte in ihnen, das nichts mit Heiterkeit zu tun hatte. »Du erhebst also auch Anspruch auf die Herrschaft? Gut, lassen wir die Götter entscheiden. Schließlich verdanken wir ihnen unser Dasein, nicht wahr?«
    »Wie meinst du das?«
    »Oh, ich meine keinen Wettstreit, mein Remus. Keinen Kampf um Leben und Tod. Wofür hältst du mich? Das würde ich dir niemals zumuten. Nein, ich meine einfach, daß wir um ein Vorzeichen bitten. Ein eindeutiges, unwiderlegbares Vorzeichen. Derjenige, dem es bis morgen früh als erstem zuteil werden wird, regiert über die neue Stadt. Der andere fügt sich seinem Schicksal.«
    Die Unterstellung, er sei zu feige für einen Kampf, wie ihn Romulus
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