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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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hab Eli schon gesagt, jede Wette, in seiner Rübe schwappen fünf Liter feinstes Blut.«
    Worauf Watts eine silberne Lanzette aus dem Etui nahm und, zurückgelehnt, meinen Kopf in Augenschein nahm wie eine monströse Büste und sagte: »Finden wir es heraus.«

Die Lebensgeschichte des Reginald Watts war eine der unglücklichsten, was geschäftliche Pleiten und private Schicksalsschläge anging, wenngleich er ohne Reue und Bitterkeit davon sprach. Tatsächlich schienen ihn die zahllosen Debakel sogar zu erheitern. »Ich bin als ehrlicher Mann auf die Nase gefallen, ich bin als Gauner auf die Nase gefallen. Ich bin sowohl in der Liebe als auch in der Freundschaft gescheitert. Nennen Sie mir irgendwas, ich habe es vermasselt. Na los, sagen Sie was, irgendwas.«
    »Ackerbau«, sagte ich.
    »Ich hatte einmal eine Rübenfarm, etwa hundert Meilen nordöstlich von hier. Nicht einen Penny damit verdient, kaum je eine Rübe hat das Licht der Welt erblickt. Ein entsetzliches Fiasko. Noch etwas.«
    »Schifffahrt.«
    »Ich besaß einmal Anteile an einem Raddampfer. Frachtverkehr auf dem Mississippi. Angeblich ließen sich damit geradezu unanständige Gewinne machen – bis ich kam. Schon auf der zweiten Fahrt sank der Kahn auf den Grund des großen Flusses. Natürlich nicht versichert, weil ich mir die wenigen Dollar Prämie sparen wollte. Kann auch daran gelegen haben, dass ich das Schiff umbenannt habe, von Strandschneckchen zu Bienenkönigin . Aber Strandschneckchen erschien mir unsittlich. Jedenfalls habe ich im wahrsten Sinn des Wortes Schiffbruch erlitten und eine fulminante Pleite hingelegt. Meines Wissens wollten mich die anderen Investoren sogar lynchen. Also hing ich einen Abschiedsbrief an die Tür, in dem ich meinen Selbstmord annoncierte, und floh vor der Schande nachts aus der Stadt, leider unter Zurücklassung meines guten Weibes, was mir selbst heute, viele Jahre danach, schmerzlich nahegeht.« Dann schwieg der Doktor, schüttelte den Kopf und sagte: »Noch mehr Geschichten gefällig? Nein, lieber nicht, ich bin müde des Redens über die Missgeschicke des Lebens.«
    »Dann sind wir schon zwei«, sagte Charlie, der zeitunglesend in der Ecke saß.
    Ich sagte: »Aber wenigstens hier scheint es jetzt zu klappen, Doc.«
    »Sieht nicht so aus«, sagte er. »Sie sind mein dritter Kunde in drei Wochen. Mir kommt es fast so vor, als stünde Zahngesundheit in diesem Teil der Welt nicht an oberster Stelle. Wenn es so weitergeht, bin ich auch als Dentist binnen Kurzem erledigt. Vielleicht noch zwei Monate, dann sperrt mir die Bank den Laden zu.« Er hielt mir eine lange, tropfende Nadel vors Gesicht. »Das piekst jetzt ein wenig, mein Sohn.«
    »Aua!«, sagte ich.
    »Wo haben Sie die Zahnheilkunde studiert?«, fragte Charlie.
    »Bei einem höchst angesehenen Institut«, erwiderte er. Den hämischen Zug um seine Lippen übersah ich dabei.
    »Soweit ich weiß, benötigt man für das Studium mehrere Jahre?«
    »Jahre?«, entgegnete Watts und musste lachen.
    »Wie lange denn?«
    »Also in meinem Fall: so lange, wie es braucht, um sich vermittels einer Schautafel ein paar Leitungsbahnen einzuprägen. Anders ausgedrückt, so lange wie die Lieferzeit für die Instrumente, die mir diese Narren auf Pump überlassen haben.« Ich warf Charlie einen Blick zu, doch der zuckte nur die Schultern und las weiter in seiner Zeitung. Ich fasste mir an die Backe und stellte beinahe erschrocken fest, dass dort kein Gefühl mehr vorhanden war.
    Watts sagte: »Na, was sagen Sie? Jetzt könnte ich Ihnen jeden Zahn im Mund ziehen, und Sie würden nicht das Geringste merken.«
    Charlie senkte die Zeitung und sah zu uns hinüber. »Sag mal, fühlst du wirklich nichts?« Ich schüttelte den Kopf, und er fragte Watts: »Wie kommt man an dieses Zeug?«
    »Gar nicht, das kriegen nur Ärzte und Leute vom Fach.«
    »Es wäre auch in unserem Fach ganz nützlich. Was halten Sie davon, wenn Sie uns etwas davon verkaufen?«
    »So ein Mittel wird nicht gerade fassweise geliefert«, sagte Watts.
    »Wir zahlen ihnen einen fairen Preis.«
    »Tut mir leid, aber die Antwort heißt nein.«
    Charlie sah mich mit leeren Blick an, und sein Gesicht verschwand wieder hinter der Zeitung.
    Watts punktierte mein Gesicht an drei verschiedenen Stellen, und überall quollen farbenfrohe Flüssigkeiten heraus. Nur im Kopf blieb etwas zurück, das aber von selbst abfließen würde, wie Watts versicherte, und dass das Schlimmste somit überstanden sei. Anschließend zog er noch die
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