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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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glanzloser roter und schwarzer Perlen oder Steine auf dem Tisch und reihten sie auf ein Stück Draht, so, als wolle sie daraus eine Halskette oder ein anderes Schmuckstück machen. Auf dem Tisch stand auch eine Lampe, sie flackerte in trübem Gelb und blakte.
    »Wir sind Ihnen sehr verbunden, Ma’am«, sagte Charlie. »Der Gesundheitszustand meines Bruder erlaubt es nicht, auf freiem Feld zu nächtigen.« Als die Alte darauf nicht antwortete, äußerte Charlie den Verdacht, sie sei womöglich taub. Da sagte die Alte: »Ich bin nicht taub!«, führte ein Stück Draht an ihren Mund und nagte so lange daran herum, bis er durchtrennt war.
    »Nichts für ungut, es war nur eine Vermutung«, sagte Charlie. »Und wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Ihre Tatkraft und Verständigkeit kann eigentlich keinem Mann entgehen, der in Ihr sorgsam geführtes Haus eintritt.«
    Sie legte Draht und Perlen hin und drehte uns ihr verdüstertes Gesicht zu. »Ihr glaubt wohl, ich wüsste nicht, was ihr für Strauchritter seid?«, sagte sie und deutete mit einem eher gebrochenen als gebrechlichen Finger auf unsere Pistolengurte. »Oder wer gebt ihr vor zu sein? Und warum?«
    Da änderte sich Charlies Gehabe von Grund auf, und er zeigte mehr sein wahres Gesicht. »Na schön«, sagte er. »Wer also sind wir?«
    »Würdet ihr euch nicht gedungene Mörder nennen?«
    »Du meinst, weil wir Waffen tragen, sollen wir Mörder sein?«
    »Nein, weil ich die vielen toten Männer sehe, die euch auf eurem Weg folgen.«
    Mir sträubten sich die Haare. Es war lachhaft, doch ich wagte nicht, meinen Kopf nach ihr zu wenden. Charlie hingegen blieb absolut kalt. »Fürchtest du, dass wir auch dich töten?«
    »Ich fürchte nichts, am wenigsten eure Kugeln und eure Rede.« Dann sah sie mich an und fragte: »Fürchtest du, dass ich dich töte?«
    »Ich bin sehr müde«, wich ich aus.
    »Dann nimm das Bett«, wies sie mich an.
    »Und wo wirst du schlafen?«
    »Ich schlafe nicht. Ich muss meine Arbeit zu Ende bringen. Morgen früh bin ich größtenteils nicht mehr hier.«
    Charlies Miene verhärtete sich. »Die Hütte gehört dir gar nicht, stimmt’s?«
    Da erstarrte sie und schien nicht einmal mehr zu atmen. Sie zog sich das Lumpentuch vom Kopf, und im Schein von Kamin und Lampe erkannte ich, dass sie so gut wie keine Haare mehr hatte, nur einzelne weiße Büschel. Auch war ihr Schädel an vielen Stellen an- oder eingedrückt wie ein alter Apfel und hätte, so wollte mir scheinen, jedem Daumendruck nachgegeben. »So wie jede Glocke einen Ton hat«, sagte die Alte, »hat auch das menschliche Herz seinen Ton. Der Ton deines Herzens aber ist beklemmend anzuhören, junger Mann. Er tut meinen Ohren weh, ebenso wie deine Augen meinen Augen wehtun, sobald ich sie ansehe.«
    Es folgte ein langes Schwiegen, in dessen Verlauf sich Charlie und die alte Hexe nur anstarrten. Nichts an ihren Mienen verriet mir ihre Gedanken. Dann zog sich die Alte das Tuch über den Kopf und nahm ihre Handarbeit wieder auf. Charlie legte sich auf den Boden, ich ebenfalls. Ich verschmähte also das Bett, denn mich ängstigte die Frau, und ich hielt es für das Sicherste, nah bei Charlie zu schlafen. Gleichzeitig war ich so erschöpft, dass ich augenblicklich in einen Traumzustand sank, in dem ich mich leider wiederum in diese Hütte versetzt sah, nur diesmal wie ein fremder Beobachter, der auf den eigenen schlafenden Körper hinabblickte. Da erhob sich die alte Frau und kam zu uns. Mir brach der Schweiß aus, mein Körper begann zu zucken, doch Charlie lag ganz still und ruhig, als die Alte sich über ihn beugte und mit ihren beiden Händen seinen Mund aufklappte. Aus den dunklen Tiefen ihrer Lumpen kam dann eine zähe, schwarze Flüssigkeit, diese rann ihm in den Mund, sodass ich, mein Beobachter-Ich, nicht mein Schlafes-Ich, aufschrie und rief, sie solle von Charlie ablassen. Damit endete der Traum, und ich erwachte. Charlie war neben mir und sah mich an. Er schlief mit offenen Augen, was eine irritierende Angewohnheit von ihm war. Hinter ihm saß die Alte, ihr Vorrat an Perlen oder Steinen war merklich verringert, also musste ein gehöriges Maß an Zeit vergangen sein. Sie saß immer noch an ihrem Tisch, aber ihr Kopf war gänzlich von uns abgewandt und starrte ins Eck neben der Tür. Mir war schleierhaft, was sie dort suchte oder was dort ihre Aufmerksamkeit erregte, doch sie starrte und starrte so lange, dass meine Neugier erlahmte und ich meinen Kopf wieder auf den Boden legte. Im
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