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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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Handumdrehen war ich eingenickt und schlief wie ein Toter.

Am Morgen erwachte ich auf dem Boden, und Charlie war weg. Ich hörte aber Schritte hinter mir und drehte mich um. Charlie stand in der offenen Tür und schaute auf die Wiese hinaus. Draußen schien die Sonne, und die Pferde standen etwas abseits an dem umgestürzten Baumstamm, wo wir sie angebunden hatten. Charlies Pferd Nimble knabberte an dem raureifen Gras, während mein Pferd Tub nur frierend ins Leere stierte. »Die Alte ist weg«, sagte Charlie.
    »Soll mir recht sein«, sagte ich und stand auf. Die Hütte stank nach Asche und Holzkohle, und meine Augen brannten. Ich musste austreten und wollte soeben durch die Tür, als Charlie mir den Weg versperrte. Sein Gesicht wirkte ausgebrannt und übermüdet. »Sie ist zwar weg«, sagte er, »aber sie hat uns ein kleines Andenken hinterlassen.« Er zeigte mit dem Finger darauf. Die Frau hatte ihre Kette um den Türstock gewickelt, und da hing sie jetzt wie nichts Gutes. Ich erinnerte mich, wie sie gesagt hatte: Morgen früh bin ich größtenteils nicht mehr da . Und größtenteils war eben nicht ganz.
    »Was hältst du davon?«, fragte ich.
    »Also ein Wandschmuck ist das nicht gerade.«
    »Wir könnten es abnehmen«, sagte ich und griff danach.
    Er hielt meine Hand fest. »Fass das bloß nicht an, Eli.«
    Wir überlegten, was jetzt zu tun sei. Die Pferde hörten unsere Stimmen und sahen zu uns herüber. »Auf keinen Fall gehen wir durch diese Tür«, sagte Charlie. »Uns bleibt nichts anderes übrig, als das Fenster einzuschlagen und so nach draußen zu klettern.« Aber da war mein Bauch vor, der schon immer zu den Runderen gehörte. Ich sagte, Zweifel seien angebracht, ob ich mit meiner Leibesfülle durch die kleine Öffnung passte. Charlie drängte, es wenigstens zu versuchen, doch der Gedanke, stecken zu bleiben und mit rotem Gesicht den Rückzug anzutreten, behagte mir gar nicht. Kurzum, ich weigerte mich.
    »Na gut, dann gehe ich eben allein und komme mit Werkzeug zurück – und hole dich heraus.« Er stellte sich auf den wackligen Stuhl der alten Frau und schlug mit dem Revolvergriff die Scheibe ein. Per Räuberleiter schob ich ihn oben aus dem Fenster, danach fanden wir uns auf verschiedenen Seiten wieder: er vor der Tür, ich dahinter. Er grinste, ich nicht. »Jetzt sitzt du fest«, sagte er und klopfte sich die Scherben von der Jacke.
    Ich sagte: »Mir gefällt dieser Plan nicht. Wer wird dir in dieser Einöde sein Werkzeug leihen? Während du durch die Landschaft reitest, verkomme ich in diesem Loch. Was, wenn die Alte zurückkommt?«
    »Sie hat uns ihren Fluch hinterlassen, warum sollte sie zurückkommen?«
    »Du hast gut reden.«
    »So ist es. Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Oder hast du eine bessere Idee?«
    Eine bessere Idee hatte ich leider nicht. Ich bat ihn nur, mir meinen Proviantbeutel zu bringen, und sah ihn zu den Pferden gehen. »Die Pfanne nicht vergessen«, rief ich und machte pantomimisch die Bewegung dazu, und er nickte. Dann kam er wieder und reichte mir alles durchs Fenster und wünschte mir gesegnete Mahlzeit, bevor er sein Pferd Nimble bestieg und fortritt. Als ich ihn zwischen den Bäumen verschwinden sah, rutschte mit das Herz in die Hose, und ich fürchtete, die beiden nie wiederzusehen.
    Ich nahm jedoch all meinen guten Mut zusammen und beschloss mich in der Hütte so gut wie möglich einzurichten. Es gab kein Feuerholz, doch die Asche im Kamin glühte noch, also zerlegte ich als Erstes den Stuhl der Alten, indem ich ihn in hohem Bogen auf dem Boden zerschmetterte. Den unteren Teil, Beine und Sitz, legte ich gegeneinandergelehnt in die Asche und goss etwas Lampenöl darüber. Schon in der nächsten Sekunde loderte alles hell. Die plötzliche Helligkeit und der würzige Geruch erfreuten mein Herz, denn der Stuhl war aus Eiche und dürfte gut brennen. »Auf die kleinen Siege kommt es an«, pflegte meine Mutter zu sagen, und dasselbe sagte ich mir jetzt auch.
    Einige Minuten später stand ich an der Tür und schaute hinaus in die Welt. Keine Wolke am Himmel. Es war einer von diesen stahlblauen Tagen, an denen der Himmel höher und weiter scheint als sonst. Schmelzwasser troff vom Dach, ich brauchte nur meine Blechtasse aus dem Fenster zu halten, um es aufzufangen. Das Blech der Tasse erkaltete rasch, und kleine Schneereste schwammen darin und brannten an den Lippen, als ich daraus trank. Es war so eine Erleichterung, endlich den Grabgeruch von geronnenem Blut in meinem
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