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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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vergreifen?«
    »Der Kommodore macht im ganzen Land Geschäfte, da kann er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, geschweige denn an hundert. Es bleibt gar nicht aus, dass er das Opfer von Kriminellen wird.«
    »Der Kommodore als Opfer von Kriminellen?«
    »Genau. Oder warum, glaubst du, braucht er Leute wie uns, um sein Vermögen zu schützen?«
    »Opfer von Kriminellen!« Ich fand den Ausdruck, ehrlich gesagt, ziemlich komisch. Und stimmte dem Kommodore zu Ehren gleich das schmalzigste Liedchen an, das mir einfiel: » Als die Stadt begann zu reden, da wurd ihm das Herze schwer … «
    »Von mir aus.«
    » Dass sein Liebchen sei ein Nüttchen, so hieß die böse Mär … «
    »Du bist nur sauer, weil ich jetzt der Anführer bin.«
    » Für eine Handvoll Dollar vergab sie Ehr und Mann … «
    »Aber soweit es mich betrifft, ist das Thema hiermit erledigt.«
    » Ach, wie ein Unschuldslächeln den Braven täuschen kann … «
    Trotzdem konnte sich Charlie ein Grinsen nicht verkneifen. »Was ist denn das für ein Lied?«
    »Hab ich irgendwo gehört.«
    »Ein trauriges Lied.«
    »Die schönsten Lieder sind traurig.«
    »Das hat Mutter auch immer gesagt.«
    Ich zögerte, sagte dann aber: »Was nicht bedeutet, dass sie einen traurig machen .«
    »Du bist in mancher Hinsicht wie Mutter.« Und nickte zur Bekräftigung.
    »Du nicht. Du bist aber auch nicht wie Vater.«
    »Ich bin wie niemand.«
    Er sagte dies ganz beiläufig, doch solche Bemerkungen beendeten normalerweise jede Unterhaltung. Er zog davon, und ich ließ ihn reiten, sah ihm nur hinterher. Er wusste natürlich, dass ich ihn von hinten beobachtete. Dann gab er seinem Pferd die Sporen, und ich musste zusehen, dass ich aufschloss. So lief es eigentlich immer, er gab den Takt vor und bestimmte unser Tempo. Doch aus irgendeinem Grund kam es mir so vor, als sei ich in Wahrheit sein Verfolger.

Die Spätwintertage waren kurz, und wir hielten in einem ausgetrockneten Flussbett, um dort unser Nachtlager aufzuschlagen. So eine Szene kommt oft in Groschenromanen vor: zwei hartgesottene Reiter, die sich am Lagerfeuer ihre Weibergeschichten erzählen oder sentimentale Lieder singen, in denen es um Tod und Spitzenmieder geht. Ich kann aber versichern, nach einem ganzen Tag im Sattel will ich nur noch schlafen. Genau das tat ich auch an diesem Tag, verzichtete sogar auf das Abendessen. Als ich am nächsten Morgen meine Stiefel anzog, verspürte ich einen scharfen Schmerz an meinem linken Zeh. Ich schüttelte den Stiefel aus, und heraus fiel, entgegen meiner Erwartung, nicht etwa ein spitzer Zweig oder dergleichen, sondern eine große haarige Spinne. Sie fiel auf den Rücken und betätigte ihre acht Beine in der kalten Luft. Augenblicklich raste mein Puls, und mir wurde schwindlig, denn Spinnen machen mir Angst, Spinnen, Schlangen und alles, was kriecht und krabbelt. Charlie, der mich kannte, kam mir zu Hilfe und beförderte die Kreatur mit Hilfe seines Messers ins Feuer. Ich beobachtete, wie die Spinne zu einer qualmenden schwarzen Kugel verkohlte und starb. Ihr Todeskampf war schön anzusehen.
    Dennoch schoss mir ein eisiger Schmerz am Schienbein hoch, und ich sagte zu meinem Bruder: »Dieses kleine Tier hat ganz schön Kraft, mein Bruder.« Sofort warf mich ein hohes Fieber nieder, sodass ich nicht wieder aufstehen konnte. Charlie war besorgt über mein aschfahles Gesicht und ritt, als mir auch die Stimme versagte, in die nächste Stadt nach einem Arzt, den er sodann nicht ganz freiwillig an unseren Lagerplatz schleppte. Zu diesem Zeitpunkt umfing mich bereits dichter Nebel, allerdings konnte ich den Mann fluchen hören, wann immer Charlie außer Hörweite war. Ich bekam eine Medizin oder ein Gegengift, dessen Wirkung zum Teil darin bestand, dass mir ganz anders wurde, selig-leicht wie betrunken. Wodurch ich plötzlich jedermann verzeihen und in einem fort Tabak rauchen wollte. Dies wurde abgelöst durch einen bleiernen Schlaf, in dem ich bis zum nächsten Abend lag. Als ich erwachte, saß Charlie immer noch am Feuer und sah mich lächelnd an.
    »Weißt du, was du gerade geträumt hast?«, fragte er.
    »Nein, ich erinnere mich nicht.«
    »›Ich bin im Zelt‹, hast du gesagt.«
    »Hilf mir beim Aufstehen.«
    Er zog mich hoch, und kurz darauf stakste ich auf hölzernen Beinen über den Lagerplatz und verschlang dann trotz der Übelkeit eine ganze Pfanne mit Speck und Zwieback, den ich sogar bei mir behielt. Ich hielt mich für stark genug zum Reiten, und so ritten wir für
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