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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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vielleicht die Tatsache, dass er kein Killer ist?«
    »Warum ihn also überhaupt auf Warm ansetzen? Warum hat uns der Kommodore nicht einen Monat früher hingeschickt?«
    »Weil wir einen Monat früher noch einen anderen Auftrag hatten? Du vergisst, der Kommodore ist ein vielbeschäftigter Mann – mit ebenso vielen Verpflichtungen, um die er sich nur nacheinander kümmern kann. Nicht umsonst sagt er: Ein übereiltes Geschäft ist ein schlechtes Geschäft. Wenn du dafür einen Beweis brauchst, schau dir nur seine vielfältigen Erfolge an.«
    Es machte mich ganz krank, wenn ich ihn so ehrfürchtig über den Kommodore reden hörte. Ich sagte: »Wir brauchen Wochen bis nach Kalifornien. Warum dieser lange Ritt, wenn wir nicht müssen?«
    »Wir müssen aber, so lautet der Auftrag.«
    »Und was, wenn Warm nicht mehr da ist?«
    »Er ist da.«
    »Und was, wenn nicht?«
    »Verdammt, er wird da sein!«
    Als es ans Zahlen ging, sagte ich zu Charlie: »Der Anführer zahlt.« Normalerweise teilen wir uns die Zeche, daher schmeckte ihm das gar nicht. Aber mein Bruder war schon immer ein alter Geizkragen gewesen, das hatte er von unserem Vater.
    »Nur dieses eine Mal«, sagte er.
    »Du bist der Anführer – mit Anführerlohn.«
    »Du konntest den Kommodore noch nie leiden. Er dich allerdings auch nicht.«
    »Ich kann ihn sogar immer weniger leiden«, sagte ich.
    »Wenn du die Last so unerträglich findest, dann sag es ihm.«
    »Charlie, du wirst erfahren, wenn mir die Last unerträglich wird. Du wirst es erfahren – und er auch.«
    Mit solchen Nickligkeiten hätte es weitergehen können, aber ich ließ meinen Bruder allein und ging in mein Hotelzimmer gegenüber, auf der anderen Seite der Straße. Ich mag mich nicht streiten, schon gar nicht mit Charlie mit seinem Mundwerk, das über die Maßen gemein sein kann. Später am Abend hörte ich von meinem Zimmer aus, wie es zwischen ihm und ein paar Männern auf der Straße zu einem Wortwechsel kam. Ich horchte genauer hin, nur um sicherzugehen, dass er nicht in Gefahr war. War er aber nicht. Die Männer fragten ihn nach seinem Namen. Er gab ihnen Antwort, und sie ließen ihn in Frieden. Natürlich wäre ich ihm sofort zu Hilfe gekommen, war sogar schon dabei, mir die Stiefel anzuziehen, aber da hatte sich die Gruppe schon zerstreut. Dann hörte ich Charlie auf der Treppe und sprang schnell ins Bett und stellte mich schlafend. Er steckte kurz den Kopf in die Tür, sagte meinen Namen, da ich jedoch nicht reagierte, schloss er die Tür wieder und ging in sein eigenes Zimmer. Unterdessen lag ich im Dunkeln wach und dachte darüber nach, wie schwierig es in einer Familie zugehen kann und wie anders wir uns entwickelt haben, obwohl wir vom selben Stamme sind.

Am nächsten Morgen regnete es – unaufhörlich und kalt, wodurch sich die Straßen in eine morastige Suppe verwandelten. Vom vielen Brandy hatte es Charlie am Magen, und ich ging in die Apotheke, um Medizin gegen die Übelkeit zu holen. Man gab mir ein himmelblaues, geruchloses Pulver, das tat ich ihm in den Kaffee. Was darin enthalten war, weiß ich nicht, aber Charlie wurde sofort kregel und saß in null Komma nichts auf seinem Pferd Nimble. Offenbar machte das Zeug auf eine Weise wach, die dem Wahnsinn nahekam. Nach zwanzig Meilen machten wir in einem trostlosen Waldstück Rast, wo im Sommer zuvor ein Buschfeuer gewütet hatte. Kaum hatten wir gegessen und wollten weiter, als wir einen Mann sahen, der sein Pferd am Zügel führte. Wäre er einfach an uns vorbeigeritten, hätten wir vielleicht kein Wort darüber verloren, so aber, zu Fuß, erschien uns der Anblick nicht normal. »Warum guckst du nicht nach, was mit dem Kerl los ist?«, sagte Charlie.
    »Verstehe, es handelt sich wohl um einen Befehl vom Anführer,« sagte ich. Er antwortete nicht, und ich dachte bei mir: Der Witz nutzt sich allmählich ab. Ich habe ihn danach auch nicht wieder angebracht. Ich nahm also mein Pferd Tub und ritt dem Fremden hinterher. Als ich auf seiner Höhe war, sah ich, dass er weinte, und stieg ab. Ich bin nicht gerade klein gewachsen und eher von schwerer Statur und erscheine Fremden gegenüber leicht als grober Patron und brutaler Mensch, entsprechend war der Schrecken auf seiner Miene. Zu seiner Beruhigung sagte ich: »Keine Angst, Mister, ich tue Ihnen nichts. Es ist nur, mein Bruder und ich essen gerade zu Mittag. Ich habe zu viel gemacht und möchte Sie fragen, ob Sie Hunger haben?«
    Der Mann wischte seine Tränen mit der Hand weg und
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