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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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Schuppens unweit des Tümpels. Er muss ihnen schleunigst das Fell abziehen und dann die Kadaver vergraben, denn ein großer Schwarm aufdringlicher Schmeißfliegen umkreist sie bereits.
    „Alles nur Arbeit und Schinderei. Und wenn die Köter dann noch räudig sind, sind wir wieder die Dummen“, brummelt er mürrisch vor sich hin. Er begutachtet die erschlagenen Hunde. Die Felle scheinen in Ordnung zu sein. Er wird sie später reinigen und gerben. Aus den Hundshäuten stellt er danach Handschuhe her, die aufgrund ihrer Geschmeidigkeit sehr gefragt sind. Jährlich muss er an den Rat der Stadt Frankfurt sechs Paar besonders gelungene hundslederne Handschuhe abführen. Das hat zwar noch Zeit bis zum Jahresende, aber er sollte doch unbedingt Vorsorgen, denn er hat erst drei Paar für die Ratsherren angefertigt. Die übrigen Handschuhe und die Fellreste kann er dann an Hausierer und fahrende Händler verhökern, das bringt auch nochmal was ein.
    Mäu, die den Esel versorgt hat, beobachtet den Vater verstohlen.
    „Was glotzt du so? Kümmer dich gefälligst ums Essen! Siehst ja, wo deine Mutter wieder bleibt. Muss den Feldsiechen noch den Arsch abwischen und schöntun mit der faulen Bagage. Mach hin, uns knurrt der Magen!“, raunzt der Vater hinter ihr. Wie ertappt zuckt Mäu zusammen und rennt in die Hütte.
    Hastig macht sie ein Feuer an der Kochstelle, legt Scheite in die züngelnden Flammen. In der Pfanne erhitzt sie etwas Schmalz und gibt eine klein geschnittene Zwiebel dazu, schneidet einige Scheiben vom Brotlaib ab, würfelt sie und wirft sie in einen Topf mit gesalzenem Wasser, welches über dem offenen Feuer erhitzt wird. Die Pfanne stellt sie an die Seite und läuft zu dem kleinen Kräuterbeet, das sich hinter der Hütte befindet. Sie kehrt mit einem Büschel Petersilie zurück, hackt es klein und gibt es gemeinsam mit dem Pfanneninhalt in den Brotsud. Als alles kocht, fügt sie noch ein verquirltes Ei hinzu, und fertig ist die Mahlzeit. Auch sie hat inzwischen Hunger. Auf dem Galgenfest ist sie ja nicht zum Zuge gekommen…
    „Vadder, kannst essen kommen“, ruft sie durch die offene Tür und holt den Bierkrug aus der Speisekammer-Kurze Zeit später schlurft der Vater in die Stube und setzt sich an den Tisch. Mäu schöpft ihm Suppe in den Holzteller und füllt etwas von dem trübe aussehenden Bier in seinen Becher. Sie selber trinkt zur Mahlzeit Wasser aus dem Brunnen. Vor dem Essen bekreuzigen sich beide und murmeln hastig und monoton das übliche, kurze Tischgebet:
    „Komm Herr Jesus Christ, sei unser Gast, und segne, was Du uns bescheret hast. Amen.“
    Schweigsam löffeln sie die Suppe, wobei der Abdecker laute Schlürfgeräusche von sich gibt.
    Er frisst ja wieder wie ein Schwein, der Gierhals, und für uns bleibt dann kaum noch was übrig, denkt Mäu erbittert, während sie mit gesenktem Blick das Brot in die Brühe tunkt.
    Im Nu ist der Teller des Abdeckers leer. Mäu springt auf, um ihm nachzufüllen. Das Geschlürfe geht sofort weiter. Als sie sich noch eine Scheibe Brot abschneiden will, fährt der Vater sie an:
    „Frisst uns ja noch arm, das Schindaas! Hat am Galgenfest schon reichlich geaast und kriegt jetzt immer noch net den Hals voll. Das Brot muss die ganze Woche reichen und heut ist erst Montag. Mach langsam, du Schlund! Wer am meisten arbeitet, darf am meisten essen und wer rumstrunzt, hat sich nichts verdient!“, zetert er mit vollem Mund.
    Mäu knallt wütend das Messer auf den Tisch, woraufhin ihr der Vater eine schallende Ohrfeige verpasst.
    Versteinert, mit hochrotem Kopf sitzt Mäu hinter ihrem inzwischen leeren Teller. Schon seit langem hat sie es sich abgewöhnt, auf die Schläge und Demütigungen des Vaters mit Tränen zu reagieren. Diese Genugtuung gönnt sie ihm nicht. Sie explodiert nach innen, und das Einzige, was ein guter Beobachter bemerken würde, sind ihr gerötetes Antlitz und ein leichtes Beben an der Gestalt und in den Gesichtszügen. Dafür aber hasst sie ihn jedesmal ein bisschen mehr.
    Beide schweigen wieder. Der Vater vertilgt seinen dritten Teller Suppe und wird verträglicher.
    „Hast du den Stoffel hängen sehen?“, fragt er.
    „Nein. Bin heim gegangen, als sie ihn zum Galgen geführt haben.“
    „Na, und wir dürfen dann morgen wieder die Drecksarbeit machen und den Gehenkten runternehmen und wegkarren. Damit macht sich der Herr Henker die feinen weißen Handschuhe nicht dreckig. Na ja, gibt immerhin einen Gulden. Besser als das Hundeschlagen“,
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