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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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fachsimpelt Edu und rülpst dabei laut. Er schenkt sich noch Bier nach.
    „Na, wo nur das Weib wieder bleibt? Dann muss sie halt die kalte Brühe fressen. Wird sowieso schon den Bauch voll haben, kriegt ja immer was zugesteckt von ihrem feinen Siechen. Soll doch gleich auf den Gutleuthof ziehen, bevor sie uns noch ansteckt, die dumme Kuh“, nörgelt er.
    „So, wir machen uns wieder an die Arbeit. Gibt noch genug zu tun mit den Kötern. Wenn wir sie abgezogen haben, rufen wir dich, kannst dann die Felle einweichen und später die Kadaver hinten aufs Feld karren. Das machst du doch so gern“, setzt er mit gehässigem Grinsen hinzu, leert seinen Becher in einem Zug und geht nach draußen.
    Mäu räumt den Tisch ab und ist in Gedanken ganz woanders, als sie plötzlich von lauten Stimmen abgelenkt wird, die vom Hof her zu vernehmen sind. Die Mutter scheint zurück zu sein. Die Eltern zanken sich mal wieder, wie so häufig.
    „Halt endlich das Maul, es bringt immerhin gutes Geld ein, dass ich zu den Siechen geh und du profitierst nicht schlecht davon. Also lass mich jetzt in Ruhe mit deinem Gerede“, hört sie die aufgebrachte Stimme ihrer Mutter an der Tür.
    Anna, die Frau des Schundmummels, betritt die Stube. Sie ist eine hochgewachsene, stattliche Erscheinung und wirkt adrett und gepflegt in ihrem blauen Arbeitskittel. Die gestärkte weiße Leinenhaube betont ihr schmales, ansprechendes Gesicht.
    „Grüß dich, Mäus’che“, begrüßt sie ihre Tochter. „Hat heute lange gedauert bei Herrn Knobloch. Es geht ihm nicht so gut und er war ziemlich äbsch, da musst ich ihn halt ein bisschen aufheitern. Dafür hat er mir auch was geschenkt. Warte mal, ich zeig’s dir, du wirst platt sein!“, sagt die Mutter und greift in ihren Brustbeutel Sie wickelt ein zusammengefaltetes Tuch auf und präsentiert Mäu einen kunstvoll geschwungenen Haarkamm aus Horn.
    „Guck nur, wie schön!“, schwärmt sie, nimmt flugs die Haube vom Kopf und löst ihr hochgestecktes Haar, das ihr voll und glänzend auf die Schultern fällt.
    „Komm, kämm mich doch mal, das tut mir jetzt gut.“
    Gehorsam stellt Mäu sich hinter sie und strählt lustlos das lange, kastanienfarbene Haar der Mutter.
    „Mudder, es ist noch ein bisschen Brüh für dich übrig. Willst du sie haben?“, fragt Mäu nach einer Weile.
    „Nein, ich bin dicke satt! Hab leckeren Mandelpudding gekriegt und später noch jede Menge Honigbrot. Sogar Wein hat er mir angeboten, mein Knobloch, und der is mir auch ganz schön in den Kopp gestiegen.“
    Anna streckt sich behaglich, ihr hübsches Gesicht ist leicht gerötet.
    Da kam die doch nie auf die Idee, einem mal ein paar Plätzcher mitzubringen! Hauptsach, sie kann genug für sich abstauben. Mehr interessiert die doch net! Naja, ist vielleicht auch besser so, von den Feldsiechen würd ich eh nix essen wollen, wer weiß was da dran ist, überlegt Mäu, während sie sich hungrig über die restliche Suppe hermacht.
    „Hilfst du mir später noch mit der Wäsch? Ich leg mich jetzt erst mal ein Stündchen in die Koje. Der Wein und die Hitze haben mich müde gemacht“, sagt die Mutter und gähnt ausgiebig.
    „Ist recht, aber ich muss auch dem Vadder noch mit den Hundefellen helfen“, erwidert Mäu.
    Die Mutter verkriecht sich in ihre Bettnische im hinteren, fensterlosen Teil der Hütte. Mäu trägt das benutzte Geschirr nach draußen zum Brunnen. Sie bedauert es, wie so häufig, dass sie keine Geschwister mehr hat und die viele Arbeit an ihr alleine hängen bleibt.
    Drei Kinder der Familie verstarben bereits im Säuglingsalter und vor zwei Jahren erlag ihr älterer Bruder Matthias den schwarzen Pocken. Der Vater hatte sich bei seinem Tod die Haare gerauft und sie hatte ihn zum ersten Mal weinen sehen. Seitdem ist er ganz verändert, nur noch bitter und garstig. Das war nicht immer so. Mäu erinnert sich noch gut, wie er ihr früher, als sie noch klein war, allerlei lustige Geschichten erzählt hat. Vom Rehbocksnest im Wald oder vom kleinen Troll Ratzerullo. Damals war sie noch sein „Mäus’che“ und er hat ihr manchmal sogar einen Eierweck aus Frankfurt mitgebracht. Jetzt aber hat sie mehr und mehr den Eindruck, dass es dem Vater lieber gewesen wäre, wenn sie anstelle von Matthias auf dem Schindanger liegen würde.
    Von klein auf hatte ihr Bruder auf dem Hof mitgeholfen und sollte einmal die Abdeckerei übernehmen, denn ein Abdeckersohn, genauso wie der Sohn eines Henkers, muss das schändliche Gewerbe des Vaters
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