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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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weiterführen. Nun ist kein Nachfolger mehr da und es wird langsam Zeit, dass der Schundmummel sich nach einem geeigneten Schwiegersohn umschaut. Auch dieser muss aus einer Abdeckerfamilie stammen, denn eine Abdeckertochter darf nur den Sohn eines Abdeckers zum Mann nehmen. Das gleiche gilt auch für die anderen verfemten Berufe, wie den Henker und den Totengräber. Alle haben sie dadurch ihre eigenen weitverzweigten „Dynastien“ und sind, vergleichbar mit Adelsgeschlechtern, auch mehr oder weniger miteinander verwandt, die Geächteten.
    So ist es für Mäu unabdingbar, einmal einen Abdeckersohn zu ehelichen, den zweiten oder dritten einer Familie, der in der Erbfolge leer ausgehen wird und sich dann bemühen muss, eine Abdeckerei zu „erheiraten“. Ihr Vater hat zwar noch keinen angehenden Schwiegersohn im Visier, aber Mäu ist mit 15 Jahren im heiratsfähigen Alter und in der großen Verwandtschaft der Eltern wird sich bestimmt bald ein geeigneter Kandidat finden lassen. Es war in letzter Zeit schon mehrfach die Rede davon.
    Die Vorstellung, ihr ganzes Leben hier in dieser stinkenden Einöde zu verbringen, bedrückt Mäu. Sie ist abenteuerlustig und fühlt mitunter einen unstillbaren Lebenshunger in sich. Wie gerne wäre sie vorhin mit dem Flugblatthändler einfach weitergezogen! Oft wünscht sie sich, dass alles anders kommt und sie ein schönes, buntes Leben haben wird, so wie ihre Muhme. Denn Martha und ihre Schwester Anna sind ebenfalls Abdeckertöchter. Doch Martha hat sich nicht verheiraten lassen, wie Mäus Mutter, und verdient ihr eigenes Geld als Hübscherin. Mäu bewundert ihre Muhme: Sie führt im Frauenhaus ein behagliches Leben und verkehrt in den feinsten Kreisen. Mit ihrer Mutter dagegen möchte Mäu nicht tauschen, die an der Seite eines ungeliebten Mannes ein sauertöpfisches Leben fristet. Ihre Eltern erinnern sie immer an das missmutige Ehepaar aus dem Märchen „Frau und Mann im Essigkrug“.
    Und nur weil sie jetzt für einen reichen Siechen Dienst tut, der sie hofiert und ihr großzügige Geschenke macht, ist und bleibt sie doch das verachtete Weib des Schundmummels, vor dem es sie selber graust.
    Nachdem sie das Essgeschirr weggeräumt hat, späht sie durch das Fenster über den Hof. Der Vater ist hinten am Tümpel mit dem Abziehen der Hundshäute beschäftigt. Gleich wird er sie rufen und herumkommandieren. Da ist es besser, gleich rauszugehen und mitzuhelfen, um ihm so den Wind aus den Segeln zu nehmen.
    „Du kannst schon mal das Fett und das Streicheisen holen“, instruiert er, als er sie kommen sieht. Mäu eilt in den Holzschuppen. Der röhrenförmige Verschlag ist durchdrungen von einem süßlichen, moschusartigen Geruch. Hier bewahrt der „ungenannte Mann“ seine Abdeckerutensilien, darunter auch das gefürchtete „unehrliche“ Abdeckermesser, auf * . Außerdem werden hier verschiedene Tierfelle und -häute sowie die Gerbereiwerkzeuge gelagert. Mäu wirft einen begehrlichen Blick in die Holzkiste, in der fein säuberlich die Handschuhe aus weichem Hundeleder liegen, von ihr und der Mutter genäht. Gerne hätte sie mal ein Paar für sich gehabt, aber alleine danach zu fragen, hätte den Vater schon in Rage versetzt. Nun muss sie sich aber sputen und dem Vater Fett und Streicheisen bringen. Sie nimmt den schweren Tiegel mit Tierfett in beide Hände, geht nach draußen und stellt ihn neben einen dicken, längs halbierten Baumstamm, der dem Vater als Gerberbaum dient. Das gebogene Messer mit den zwei Griffen, mit dem die Haare und die Fleischreste vom Fell geschabt werden, holt sie noch aus dem Schuppen und legt es dazu. Der Vater bearbeitet damit die Häute und reinigt sie grob.
    „Kannst die Felle schon mal vorne in den Altgraben hängen. Aber mach sie gut fest, damit sie nicht wegschwimmen“, weist der Abdecker sie an, Mäu legt die beiden Felle auf den Schubkarren und entfernt sich von dem Hof in Richtung Altarm. Die Felle müssen einige Tage im Wasser durchgespült werden, bevor der eigentliche Gerbvorgang beginnen kann. Sie nähert sich der Altarmwindung und sucht am Ufer nach schweren Steinen, um damit die Felle zu fixieren. Nach und nach legt sie sich einen Haufen zurecht, den sie für alle Häute brauchen wird. Der Duft der frischen Wiesenkräuter und der intensive Geruch des Wassers steigen ihr in die Nase. Die Sonne sticht ganz schön, die Gewitterwolken von vorhin haben sich inzwischen wieder verzogen. Sie liebt den Sommer mit seinen Wohlgerüchen und der Wärme,
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