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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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Zellen befanden. Eckert leuchtete ins Rund, bis er meinte, die richtige Zelle gefunden zu haben.
    »Lijse?«, flüsterte Fygen.
    »Fygen? Fygen, bist du das?«, vernahmen sie Lijses brüchige Stimme.
    »Ja, Lijse, ich bin es.« Fygen trat an das Gitter heran und streckte ihre Hände durch die Stäbe.
    Die alte Frau kauerte auf dem eiskalten Boden, der nur mit einer dünnen, schmutzigen Schicht Stroh bedeckt war. Hilfe suchend umschlossen ihre Finger Fygens Hand, und Fygen musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut aufzuschluchzen. Sie ließ sich dicht neben dem Gitter zu Boden sinken, und so gut es ging, versuchte sie, durch die Stäbe hindurch die liebe alte Frau in ihre Arme zu schließen. »Es wird alles gut«, tröstete sie. »Sag mir, was geschehen ist.«
    Es dauerte einen Moment, und Fygen befürchtete schon, Lijse hätte ihre Frage nicht verstanden. Dann entrang sich ein so tiefer, trauriger Seufzer Lijses Brust, dass es Fygen das Herz zusammenkrampfte, und sie sagte: »Ich habe es ihnen nicht gesagt. Du kannst sicher sein. Ich werde ihnen nichts verraten.« Ein Schütteln ging durch ihren Körper, und Lijses Zähne schlugen aufeinander. Es war zugig und kalt in dem Gemäuer, und die alte Frau fror kläglich. Fygen löste ihren Umhang von den Schultern und schob ihn durch die Stäbe des Gitters. Dankbar wickelte Lijse sich in den Stoff. Fygen bemühte sich, den Sinn von Lijses Worten zu verstehen, doch sie konnte damit in keiner Weise etwas anfangen. War die gute, alte Seele durch ihre Haft verwirrt? »Wem wirst du nichts verraten?«, forschte sie vorsichtig nach.
    »Den Damen und Herren vom Seidamt!« Lijse spuckte die Worte beinahe aus. »Sie haben mich zu sich bestellt. Erst dachte ich, es wäre eine Angelegenheit, die deine Weberei betrifft. Aber das war es nicht. Sie wollten etwas anderes von mir wissen. Aber ich habe es ihnen nicht gesagt!« Den letzten Satz wiederholte Lijse mit Nachdruck, fast mit Trotz in der Stimme. »Und deshalb haben sie mich hier eingesperrt«, fuhr sie fort. »Weil sie mich für verstockt halten. Sie hoffen, dass mich eine Zeit hier drinnen zum Sprechen bringt.« Sie lachte trocken auf. »Doch so leicht lasse ich mich nicht in die Knie zwingen«, sagte sie, »ich verrate nichts.« Doch ihre zitternde Stimme strafte die kämpferischen Worte Lügen.
    »Was wirst du ihnen nicht verraten?«, fragte Fygen sanft und streichelte vorsichtig über Lijses Hand. Sie konnte sich auf die ganze Sache keinen Reim machen.
    »Ach, mein Kind, willst du das wirklich wissen? Es ist schon so lange her, dass es beinahe nicht mehr wahr ist. Und jetzt versuchen sie, dir damit zu schaden.«
    Eine schreckliche Ahnung stieg in Fygen auf. »Grete …«, murmelte sie und wagte kaum, ihre nächste Frage zu stellen: »Ist es wegen meiner Mutter?«
    Wieder seufzte Lijse schwer. »Ja«, sagte sie. Und erst nach einer Pause fuhr sie fort: »Deine Mutter war eine wunderschöne Frau. Sie war dir so ähnlich. Sie war lebenslustig und fröhlich. Doch so leidenschaftlich wie sie war, hat sie sich Hals über Kopf in einen jungen Mann verliebt.«
    »Nikasius Hackenay!«
    »Ja. Er war ein schmucker junger Bursche. Sehr anziehend. Die Hackenays sind eine kölnische Goldschmiedefamilie, die aus den Niederlanden stammte. Nikasius stand damals schon im Dienste des alten Kaisers und kam weit herum.« Ein Hustenanfall schüttelte ihren alten Körper, und es dauerte eine Weile, bis sie weiterzusprechen vermochte. »Ein vielversprechender junger Mann. Leider! Denn er hatte auch große Ziele. Ich glaube, er hat deine Mutter wirklich geliebt, aber weit größer als seine Liebe war sein Ehrgeiz. Als Irma schwanger wurde, besann er sich darauf, dass die Heirat mit einer Aldenhoven aus Zons ihm keinerlei Vorteile für seinen gesellschaftlichen und geschäftlichen Aufstieg zu verschaffen vermochte. Wenig später ehelichte er dann Christine Hardenrath, Tochter einer angesehenen kölnischen Kaufmannsfamilie. Irma brach es beinahe das Herz. Aber die Sache war so und nicht anders. Mathys regte sich furchtbar auf, dass seine Schwester ein uneheliches Kind zur Welt bringen sollte. Er wollte sie so schnell als möglich verheiraten. Doch alle ehrenwerten Heiratskandidaten aus der Stadt winkten aus offensichtlichen Gründen ab. Dann traf Mathys deinen Vater in einem Bierzapf. Konrad von Bellinghoven war mittellos. Aus guter Familie zwar, die von Bellinghoven stammen aus Rees, doch mittellos. Er schlug sich mit allerlei Geschäften durch
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