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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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selbstverständlich versuchte sie, wie früher auch während seiner Abwesenheit, Peters Geschäfte mit zu übernehmen. Ihre Mahlzeiten ließ sie sich von Hilda ins Kontor bringen und nahm sie allein ein. Kaum dass sie das Wort an eines der Mädchen oder sonst jemanden im Haushalt richtete, es sei denn aus geschäftlicher Notwendigkeit. Und so wurde sie denn auch erst sehr spät gewahr, dass man etwas vor ihr verbarg. Dass die jüngeren Lehrmädchen ständig etwas zu tuscheln hatten, war eine alltägliche Sache. Gewöhnlich lohnte es nicht, dem auf den Grund zu gehen. Doch irgendwann bemerkte Fygen, dass auch die altgedienten Seidmacherinnen ihre Gespräche unterbrachen, wenn Fygen ihr Kontor verließ und durch die Werkstatt schritt.
    »Hilda, was geht hier vor?«, fragte sie die hagere Haushälterin geradeheraus, als diese mit einem Tablett Fygens Kontor betrat. Hilda wusste alles, was im Hause vor sich ging, gleichgültig ob es Familienangelegenheiten, die Werkstatt oder das Handelskontor betraf.
    Hilda krauste die lange Vogelnase. Sie redete ohnehin nicht gerne, doch auf dieses Gespräch hätte sie gern verzichten mögen. Aber sie wusste, wenn Fygen etwas wissen wollte, dann würde sie es auch herausfinden. Nach Hildas Meinung hatte Fygen ohnehin ein Recht darauf, es zu erfahren. Sie hatte es von Anfang an für falsch gehalten, die Sache vor Fygen zu verbergen, um sie zu schonen. Sicher, jeder konnte sehen, dass sie noch weit davon entfernt war, den Tod ihres Mannes überwunden zu haben, doch das hier war eine ernste Angelegenheit. Hilda holte tief Luft, ehe sie antwortete: »Sie haben Lijse verhaftet.«
    Entsetzt starrte Fygen Hilda an. Sie hatte gedacht, dass sie nach Peters Tod nichts mehr zu treffen vermochte. Doch da hatte sie sich wohl geirrt. »Sag das bitte noch einmal. Sie haben Lijse verhaftet? Wieso das denn?« Fygens Stimme drohte zu kippen. Lijse war über siebzig und hatte noch nie in ihrem langen Leben jemandem etwas zuleide getan.
    »Man hat sie in den Frankenturm gebracht, hieß es. Mehr haben wir nicht erfahren können. Tim war bereits beim Rat der Stadt, doch auch er konnte nichts ausrichten.«

    Ein bitterkalter Wind wehte durch die Gassen am Ufer und biss Fygen bösartig ins Gesicht. Nebelfetzen fingen sich an den Spitzen von St. Maria ad Gradus. Fygen fröstelte und zog ihren Umhang dichter um sich herum. Karg und abweisend ragte der Frankenturm über der Rheinmauer auf. Er war Teil der Befestigungsanlage zum Fluss hin und wurde aus praktischen Erwägungen als Gefängnis genutzt. Der Anblick des kahlen, schmucklosen Gebäudes war wenig ermutigend. Die glatten, schlichten Mauern hatten nur in den obersten Stockwerken Lichtschächte und boten sich ob ihrer Standfestigkeit geradezu an, die Bösewichter der Stadt sicher aufzubewahren. Doch was Lijse hier zu suchen hatte, war Fygen nach wie vor schleierhaft. Müde strich sie sich über das Gesicht. Sie hatte das Gefühl, eine zentnerschwere Last ruhe allein auf ihren Schultern und drohte sie auf den Boden zu drücken. In Begleitung des alten Eckert hatte sie sich sofort auf den Weg gemacht, um nach Lijse zu sehen und herauszufinden, wie sie die Gute am schnellsten aus dem Turm holen konnte. Denn dass es sich hierbei um ein Missverständnis handeln musste, stand für Fygen außer Frage.
    Als sie dem Wachhabenden ihr Begehr vortrug, schüttelte dieser bedauernd mit dem Kopf. Er habe strikte Anweisung, niemanden zu der Gefangenen vorzulassen.
    Fygens Gesicht erstarrte zu einer Maske. Nur in ihren Augen schien noch Leben zu sein. Phosphorfarbene Blitze trafen den Wachmann, doch bevor Fygen auf ihn losgehen konnte, zog Eckert sie sanft beiseite. Während sie mühsam versuchte, sich zu beherrschen, sah sie aus den Augenwinkeln, wie er einige Worte mit dem Wachhabenden wechselte. Schließlich schloss dieser seine groben Finger über ein paar Münzen, die Eckert ihm zugesteckt hatte, und brummte: »Sie ist unten.« Mürrisch öffnete er die schwere Tür, um sie einzulassen. »Macht es kurz!«
    Eckert griff eine Fackel aus ihrer Halterung an der Wand und leuchtete ihnen den Weg eine schmutzige Treppe hinab. Vorsichtig setzte Fygen einen Fuß vor den anderen, um nicht auf den feuchten Stufen auszugleiten. Der Geruch nach fauligem Stroh und Exkrementen schlug ihnen entgegen, und Fygen musste sich zusammennehmen, um den Ekel zurückzudrängen, der in ihr aufstieg.
    Am Fuße der Treppe öffnete sich ein Raum zum Halbrund, an dessen Wänden sich gemauerte
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