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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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und besserte seine Kasse manches Mal durch ein Spielchen auf. Mathys bot ihm die Hälfte des Kontors, das er und Irma von seinem Vater geerbt hatten, als Mitgift an, wenn er Irma ehelichte. Und genau zu der Zeit, als sie handelseinig wurden, kamst du zur Welt. Konrad und Irma heirateten am nächsten Morgen, doch Irma starb tags darauf.« Lijse unterbrach sich und wischte mit dem Handrücken eine einzelne Träne fort, die sich anschickte, ihre gefurchte Wange hinabzulaufen. »Er war ein anständiger Mann, dein Vater«, fuhr sie fort. »Von dem Moment an, als er dich zum ersten Mal gesehen hatte, war er wie verwandelt. Er kümmerte sich um dich und war dir Mutter und Vater zugleich. Er hätte dich nicht mehr lieben können, wenn du sein eigen Fleisch und Blut gewesen wärst.«
    Tränen stiegen Fygen in die Augen und liefen ihr ungehindert über das Gesicht. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Es waren Tränen der Liebe und Dankbarkeit Konrad von Bellinghoven gegenüber, dem Mann, der ihr ein wirklicher Vater gewesen war. Aber es waren auch Tränen der Rührung über Lijses unverbrüchliche Treue. Ungeachtet des eigenen Leides in diesem schrecklichen Kerker, suchte die liebe, alte Frau sie zu schützen, wie eine Mutter ihr Kind schützen würde. Lijse war ihr zeitlebens die Mutter gewesen, die Irma ihr nie sein durfte, dachte Fygen betrübt. Irma, die das traurige Opfer ihrer unglücklichen Liebe, ihrer Leidenschaft geworden war. Fygen hatte recht behalten. Ihre Mutter war nicht so leichtlebig gewesen, wie Onkel Mathys behauptet hatte. Doch Fygen konnte auch Nikasius Hackenay nicht grollen für etwas, das vor so langer Zeit geschehen war. Vielmehr verdiente auch er ihr Mitgefühl. Dennoch breitete sich in Fygen ein unbändiger Zorn aus auf ihre bösartige Base Grete. Dieses niederträchtige Geschöpf war nicht davor zurückgeschreckt, eine alte, gebrechliche Frau verhaften und in den Turm sperren zu lassen, nur um ihr, Fygen, zu schaden. Denn wer außer Grete oder deren Mutter konnte sonst ahnen, dass Lijse, als ehemalige Haushälterin ihres Oheims, um das Geheimnis wusste?
    In hilfloser Wut biss Fygen die Zähne zusammen. Sie wusste, dass sie gegen ihre grundschlechte Base nichts unternehmen konnte. Grete hatte sich das fein ausgerechnet. Entweder würde Lijse zusammenbrechen und gestehen, was sie wusste, oder aber Fygen selbst machte der Sache ein Ende, weil sie nicht mehr mit anzusehen vermochte, wie Lijse litt. Niemals würde Fygen es ertragen können, dass Lijse auch nur einen Moment länger als unbedingt nötig in diesem Verlies zubrachte, wenn sie es verhindern konnte.
    Fygen richtete sich auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Lange hatte sie geschwiegen. Nun strich sie der alten Frau zart über die Wange. »Sag ihnen, was sie wissen wollen«, flüsterte sie.

9. Kapitel
    D er Tag war freundlicher als die vorausgegangenen. Ein beinahe klarer Himmel spannte sich über den Äpfelbäumen, deren winzige Knospen eine nach der anderen aufsprangen. Wieder ein Frühjahr, dachte Fygen, doch im Grunde war es ihr gleichgültig. Von ihr aus konnte der Winter bleiben oder auch nicht. Es machte keinen Unterschied. Sie fror ohnehin, egal wie warm oder kalt es draußen sein mochte, wie gut oder schlecht das Feuer im Kamin ihres Zimmers angefacht war. Von ihrem Sessel am Fenster aus sah Fygen die Bäume. Sah, wie ein Windstoß ihre Äste wiegte. Es war still hier, so still. Nichts störte ihre Gedanken. Das Klappern der Webstühle war für immer verstummt an jenem Nachmittag im Dezember, als sie von ihrem Besuch bei Lijse zurückgekommen war. Sie war geradewegs in die Werkstatt getreten und hatte alle zusammengerufen, die Lehrmädchen, die angestellten Seidweberinnen und alle Helferinnen, die zum Teil schon seit Jahren für Fygen arbeiteten. »Packt alles zusammen«, hatte sie ihnen befohlen. »Die Rohseide, die fertigen Ballen, das Werkzeug, einfach alles. Dann baut ihr die Webstühle ab und packt eure persönlichen Sachen. Ihr geht zu Lisbeth. Ich werde dafür sorgen, dass sie euch allen weiterhin Arbeit gibt. Diejenigen von euch, die noch Lohn zu bekommen haben, sollen gleich in mein Kontor kommen.«
    Betretenes Schweigen war die Folge gewesen. Keine der Frauen hatte verstehen können, was plötzlich in ihre Dienstherrin gefahren war. Natürlich hatte sie in den letzten Wochen viel zu erdulden gehabt. Zuerst der Tod ihres Mannes und jetzt die Verhaftung von Lijse, die ihr praktisch wie eine Mutter gewesen war. Da
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