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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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kommt von weit her, um mit Euch zu reden«, wagte Hilda zu erwidern.
    »Bring ihm eine Erfrischung und bitte ihn, ein wenig zu warten. Frau Lützenkirchen kommt gleich!«, erwiderte Katryn bestimmt.
    »Aber …«, hob Fygen an zu protestieren.
    »Kein Aber. Du ziehst dich jetzt ordentlich an und empfängst diesen Besucher. Hast du mich verstanden?«, schnitt Katryn ihr das Wort ab, und ihr Tonfall gestattete keinen Widerspruch.
    Fygen war viel zu kraftlos, sich Katryn zu widersetzen, und so erhob sie sich gehorsam aus ihrem Stuhl. Ihr Blick streifte den Brief, der auf dem Tisch lag. Der Name des Absenders war deutlich zu lesen. Es war ein gewisser Alberto Pezzi. Fygen konnte den Namen nicht direkt zuordnen, doch dann sah sie, dass dieses Schreiben aus Lucca stammte. Mit einer einzigen hastigen Bewegung riss sie den Umschlag auf. Der Brief war in Latein verfasst, und wenn Fygen auch nicht den genauen Wortlaut entschlüsseln konnte, so sagten ihr die kurzen Zeilen doch, dass Herman bei Alberto in Lucca weile und bei guter Gesundheit sei.

    Als Fygen eine Viertelstunde später die Treppe hinabstieg und ihr Kontor betrat, brachte sie sogar ein Lächeln zustande. Hans Hinderofen, Hauptbuchhalter der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft, erhob sich bei ihrem Eintreten. Um gut zwei Haupteslängen überragte er sie, und sein Gesicht war offen und sympathisch, wenn auch nicht schön zu nennen. Er konnte nur wenige Jahre älter sein als sie, höchstens Mitte der vierzig, mutmaßte Fygen. Seine kräftige Gestalt versprühte eine ungeheure Energie, und es schien Fygen, als wäre er ein Mann, der nicht gerne still saß.
    »Zunächst möchte ich Euch, auch im Namen meiner Mitgesellschafter, mein herzliches Beileid aussprechen,« sagte er gemessen.
    Fygen nahm dies mit einem kurzen Nicken des Kopfes zur Kenntnis. Das wird sicher nicht der Grund sein, warum Hinderofen, eigentliches Oberhaupt der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft, seine Reise von Schwaben, dem Sitz der Zentrale, nach Antwerpen, wo er eine der dreizehn Hauptniederlassungen, der sogenannten Gelieger, zu besuchen gedachte, in Köln unterbrochen hatte, überlegte sie. Anders als Jos Humpis, der zwar als erster Regierer repräsentative Aufgaben wahrnahm, doch faktisch ohne Befugnisse war, war Hinderofen derjenige, der die Hauptarbeit der Gesellschaft leistete und die wirkliche Macht in Händen hielt. Er hatte wenig Zeit zu verlieren, und so kam er, wie es seine Art war, recht schnell auf den Kern seines Besuches zu sprechen: »Mit Eurem Mann haben wir einen hervorragenden Faktor verloren«, fuhr er fort. »Es mag ein wenig seltsam anmuten, dass ich dieses Anliegen an Euch« – hier räusperte sich Hinderofen – »an eine Frau herantrage, denn in diesem Gewerbe sind Frauen üblicherweise nicht zu finden. Doch wir haben vernommen, dass die kölnischen Frauen weit selbständiger sind in ihren Geschäften und mehr Freiheiten genießen als viele ihrer Genossinnen in anderen Landen.« Die ganze Zeit, während er gesprochen hatte, war Hinderofen durch den Raum gewandert. Nun blickte er Fygen ins Gesicht, um zu sehen, wie sie reagierte. »Um es kurz zu machen«, fuhr er fort. »Wir benötigen einen guten Faktor in Köln. Einen, der den Handel und die kölnischen Gepflogenheiten kennt. Wir haben immer wieder bemerkt, dass die Korrespondenz in Zeiten der Abwesenheit Eures Mannes von Euch geführt wurde. Einige der Verträge und Abrechnungen tragen Eure Schrift, so dass wir davon ausgehen, dass Ihr um die Geschäfte Eures Mannes gut Bescheid wisst. Man spricht Gutes über Euch in der Stadt. Und man trug uns zu, dass Ihr derzeit« – hier zögerte der zweite Regierer einen Moment, um die richtigen Worte zu wählen – »über Vakanzen verfügt.«
    Verblüfft schaute Fygen ihn an. Bot er ihr allen Ernstes die Stelle eines Faktors bei einer der angesehensten Handelsgesellschaften des Landes an? Das war doch wohl ein wenig gewagt. »Aber mein Hauptgeschäft war die Weberei, nicht der Handel«, entgegnete sie. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich all das Notwendige weiß, dessen es zur Führung einer Faktorei bedarf.«
    »Unser erster Regierer pflegt zu sagen: ›Wer also beizeiten anfängt, emsig zu sein, und die Sachen mit Fleiß in die Hand nimmt, dem vertraut man bald Größeres an, wer aber dem nicht nachkommen will, den lässt man auf ewiglich einen Esel sein.‹«
    Ein Esel. In der Tat, da hatte Humpis recht. Man konnte vieles lernen und würde mit den Aufgaben
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