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Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Titel: Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Autoren: Amanda Mccabe
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sich auf ihre kleinen Füße stellen und losrennen. Bald genug schon würde sie es tun, dachte Marguerite stolz, denn die Kleine krabbelte schon wie der Teufel.
    Klein Schura war als Neugeborenes dem dörflichen Kloster vor die Tür gelegt worden. Und weil die Äbtissin von Marguerites und Nikolais Kinderlosigkeit nach über zwei Ehejahren wusste, hatte sie ihnen das Kind gebracht. Jetzt war Schura fast ein Jahr alt, ein hübsches, eigensinniges Kind mit hellen Haaren und samtdunklen Augen. Und mit dem liebenswertesten Kichern und den weichsten Händchen. Bald würde sie wirklich laufen und mit den Hunden durch die Felder tollen, während ihr Lachen wie ein goldenes Band hinter ihr herwehen würde.
    Doch im Moment war sie noch am besten auf ihrem Tuch aufgehoben, den jüngsten Hundewelpen schlafend neben sich.
    „Ma-maaaa“, schrie sie, als sie merkte, dass Marguerite sie anlächelte, und streckte flehend die kleine rundliche Hand mit den Grübchen nach ihr aus.
    Lachend setzte Marguerite sich neben ihre Tochter und fütterte sie mit einer Traube. Schura rollte die Beere mit ernstem Gesichtsausdruck im Mund herum, während sie die unterschiedlichen Aromen zu prüfen schien. Eine geborene Winzerin, dachte Marguerite schmunzelnd.
    Unterhalb des Weinbergs konnte sie das rote Ziegeldach ihres Hauses sehen, dessen Mauern in der Sommersonne weiß leuchteten. Alle Fensterläden standen offen, und die Mägde waren gerade damit beschäftigt, die Wäsche zum Bleichen in die Sonne zu hängen. Im Schatten der Zypressen war der lange Tisch gedeckt, an dem sie später essen würden, und in der Nähe stand die winzige Kapelle zu Ehren ihrer Mutter, deren kleines blau-grünes Fenster in der Farbe des Meeres funkelte.
    Ihr Heim. Ihre Familie.
    „Ma-maaa.“ Marguerite spürte einen Ruck an ihrem Leinenkittel. Als sie hinuntersah, entdeckte sie Schura, die offenbar nach einer weiteren Traube verlangte. Marguerite lachte wieder, nahm das Mädchen auf den Schoß und atmete seinen warmen, nach süßer Seife duftenden Geruch ein.
    „Gierige Kleine“, sagte sie stolz und steckte ihr noch eine Traube in das rosenrote Mündchen.
    Einen kurzen Augenblick lang erinnerte sie sich an Frankreich. Nicht an Paris und auch nicht an den königlichen Hof, aber an das Schloss ihres Vaters. Die Art, wie er sie bei der Hand genommen hatte, als sie klein gewesen war, wie er sie durch die Reihen der Weinberge führte und sie alles lehrte, was sie jetzt hier in die Tat umsetzte. Die Art, wie er sie emporhob, ihr das Land zeigte und sie dabei diese Liebe zu einem Ort, zu einem Heim empfunden hatte.
    All diese reinen und guten Empfindungen waren ihr später verloren gegangen. Sie hatte geglaubt, nie wieder so etwas Schönes erleben zu dürfen. Sie war nicht länger Marguerite Dumas, sondern nur die „Smaragdlilie“ gewesen, und sie hatte gelernt, die schmerzliche Sehnsucht nach einem Heim zu unterdrücken.
    Doch jetzt – jetzt gehörte es ihr. Alles. Das Haus, die Weinberge, das Kind. Der Ehemann.
    „Ist das alles ein Traum, Schura?“, murmelte sie und küsste ihre Tochter auf den seidigen Scheitel. Schura gluckste und griff mit ihren vom Traubensaft klebrigen Fingern nach einer Locke Marguerites, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte. „Bist du ein Traum?“
    Manchmal fürchtete sie, es könnte so sein. Besonders dann, wenn sie mitten in der Nacht aufwachte und für einen Moment befürchtete, wieder in Fontainebleau oder Greenwich zu sein, gefangen im Netz der Könige, der Intrigen und der endlosen Gefahren.
    Aber dann sah sie Nikolai neben sich, das goldene Haar über dem Kopfkissen ausgebreitet. Sie hörte, wie Schura sich nebenan in ihrem Kinderzimmer im Schlaf bewegte, sah draußen vor dem offenen Fenster die Weinberge im Mondlicht und wusste mit Gewissheit, dass ihr Traum Wirklichkeit geworden war.
    Nikolai gab ihr alles, was er ihr an jenem lange zurückliegenden Tag auf Balthazar Grattianos Schiff versprochen hatte. Er küsste sie in der Öffentlichkeit, tanzte jede Nacht mit ihr und liebte sie in der Sonne. Die Familie und das Heim, das einfache Leben in der Natur nach ihren eigenen Regeln.
    „Und wie geht es meinen schönen Damen an diesem herrlichen Tag?“, hörte sie Nikolai rufen, und seine Stimme ließ ihr Herz hüpfen. Mit Schura auf dem Arm stand sie auf und drehte sich zu ihm um.
    Er hatte an diesem Morgen auf den Feldern weiter unten im Tal gearbeitet und trug ein einfaches weißes Leinenhemd, Hosen aus Rehleder und schmutzige
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