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Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Titel: Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Autoren: Amanda Mccabe
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zu erfüllen.
    Eigentlich schade, dachte sie, während sie den Russen betrachtete. Er war so ein hübscher Mann.
    Er hatte gar keinen Bart, sondern war glatt rasiert. Im flackernden, qualmenden Fackellicht waren seine eleganten, scharf geschnittenen Züge gut zu erkennen. Das orangefarbene Glühen der Flammen spielte auf seinen hohen Wangenknochen und den sinnlichen Lippen. Sein Haar, das von der vollen goldenen Farbe alter Münzen war, fiel ihm offen bis auf den Rücken hinunter, eine seidig schimmernde Flut, die geradezu nach der Berührung einer Frau verlangte. Die beiden Dirnen auf seinem Schoß waren offenbar auch dieser Meinung, denn sie fuhren ihm immer wieder kichernd und gurrend mit den Fingern durch die glänzenden Locken und knabberten an seinem Ohr und Hals.
    Andere Frauen beugten sich über seine Schultern und vernachlässigten ihre Kunden, um sich in seinem goldenen Glühen zu sonnen, in der Fülle seines Lachens und in dem Leuchten seiner Haut und seiner Augen. Es schien ihm nichts auszumachen. Tatsächlich benahm er sich, als stünde ihm diese Aufmerksamkeit zu. Wie ein reicher Herr aus dem Osten lehnte er sich lässig in seinem Sessel zurück und warf mit unbändigem Lachen den Kopf in den Nacken. Er hatte sein Wams abgelegt. Die Verschnürung des weißen Hemds war gelöst und darunter offenbarte sich eine glatte, muskulöse Brust, auf der leichter Schweiß glänzte. Das dünne Leinen war ihm über die eine Schulter gerutscht und enthüllte starke Muskeln.
    Das war kein schwerfälliger Bär, sondern eine geschmeidige Katze, unter deren Grazie sich große Kraft verbarg.
    Oui , es war eine Schande, so etwas Hübsches zu vernichten. Doch es musste sein. Er und seine Freunde hatten neue Handelsrouten von Moskau nach Persien ausgekundschaftet. Sie sollten an dem großen russischen Fluss Wolga und am Kaspischen Meer entlangführen. Damit standen er und seine Moskauer Freunde – gar nicht zu reden von den spanischen und venezianischen Händlern, mit denen er verkehrte – den französischen Interessen im Wege. Sie würden nämlich dem Seiden-, Gewürz- und Pelzhandel der Franzosen in die Quere kommen, und das durfte nicht sein. Gerade jetzt, nach der demütigenden Niederlage des Königs bei Pavia, war das alles sogar von noch größerer Bedeutung. Also würde Nikolai Ostrowski sterben müssen.
    Ein letztes Mal ließ Marguerite den Blick auf seiner nackten, goldfarbenen Haut verweilen. Dann wandte sie sich ab und ließ den Deckel wieder über das Guckloch fallen. Sie hatte ihre Aufgabe zu erfüllen. Schon früher hatte sie solche Aufträge für Frankreich erledigt, sogar gefährlichere. Sie durfte jetzt nicht zögern, nur weil das Opfer ein attraktiver Mann war. Sie war die „Smaragdlilie“. Und sie durfte nicht versagen.
    Ein kleiner Spiegel hing an der schmucklosen Wand ihrer engen Kammer, die von Kerzen und einem einzigen Fenster erhellt wurde. Als sie hineinschaute, starrte ihr eine Fremde entgegen. Schon oft hatte sie die unterschiedlichsten Verkleidungen getragen: knorrige Bauersfrauen, alte jüdische Händler, Milchmädchen und Herzoginnen. Aber noch nie hatte sie versucht, eine Hure darzustellen. Es war sehr interessant.
    Ihr silberblondes Haar, das offen getragen sogar noch länger war als das des Russen, war jetzt gekräuselt und gelockt, an den Seiten hochgesteckt und oben auf dem Kopf zu einem Knoten frisiert. Heller Reispuder verdeckte ihre natürliche Gesichtsfarbe, von der man in Paris üblicherweise schwärmte, dass sie wie „Milch und Blut“ sei. Zwei kräftig rote Kleckse prangten auf ihren Wangen, und dicke schwarze Linien umrahmten ihre grünen Augen.
    Sie war nicht mehr sie selbst, war nicht mehr Marguerite Dumas vom französischen Hof. Noch war sie die Dame, die sittsam verschleiert und verhüllt über die Piazza San Marco geschlendert war und Nikolai Ostrowski in seiner Verkleidung als Schauspieler beobachtet hatte. Er hatte den Akrobaten gegeben, der jonglierte und Späße machte, und dabei sein wahres Selbst hinter einem Lächeln und Schellenklingeln verborgen. Genauso, wie sie es auf ihre Weise ja auch tat.
    Voilà , jetzt war sie Bella, eine einfache italienische Hure, die nach Venedig gekommen war, um während des Karnevals ein paar Dukaten zu verdienen. Hoffentlich eine Hure, die Ostrowskis Blick auf sich zog, obwohl er von allen Frauen in diesem Etablissement umworben wurde.
    Marguerite trat zurück, bis sie ihr Kleid im Spiegel sehen konnte. Es war aus scharlachroter
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