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Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Die Sehnsucht der Smaragdlilie

Titel: Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Autoren: Amanda Mccabe
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Hart packte Nikolai ihr Handgelenk, quetschte es, bis ihr Handgelenkknochen knirschte, und sie aufschrie. Ihre Finger öffneten sich, und der Dolch fiel klirrend zu Boden. Nikolai zerrte sie neben sich und presste sie aufs Bett. Er war jetzt kein ungenierter, verdorbener, lüsterner Schauspieler mehr, sondern ein schnelles, gnadenloses Raubtier. Ein Raubtier, wie auch sie eines war.
    Marguerite war geübt im Schwertkampf und dem Gebrauch von Dolch und Bogen, im höfischen Fechten und im rauen Straßenkampf. Sie kannte Tricks und Täuschungsmanöver, mit denen sie ihre zarte Statur wettmachen konnte. Doch sie wusste auch, wann sie besiegt war – und das war sie jetzt. Es war nicht schwer für sie, den Ausdruck in seinen Augen richtig zu deuten.
    Während sie ihn anschaute, fühlte sie sich seltsam ruhig. Ihr war, als schwebte sie bereits über ihrem Körper und würde die Szene von oben betrachten, von den Deckenbalken her. Ihr Opfer würde ihr Mörder sein. Es war genau das, was sie für ihre Sünden verdient hatte. Sie hatte mit diesem Tag gerechnet. Wenn sie nur nicht ohne Beichte sterben müsste! Jetzt würde sie nie ihrer Mutter im Himmel begegnen.
    Aber sie sah ihren Racheengel, der sich in der Dunkelheit neben ihr erhob. Er klaubte den Dolch vom Boden auf, begutachtete die Klinge, während er Marguerite noch immer niederdrückte. Sie spürte die volle Kraft seines sehnigen Körpers. Scheinbar mühelos hielt der Russe sie fest.
    Er starrte auf den Dolch. Er war so schlank, so perfekt gearbeitet. So tödlich. Der in den Griff eingebettete kleine Smaragd leuchtete. „Warum ich?“, fragte Nikolai heiser. „Warum versucht Ihr, einen armen Schauspieler umzubringen?“
    „Ihr seid kein armer Schauspieler, Monsieur Ostrowski, und wir beide wissen das“, antwortete sie auf Französisch. „Ihr habt Geheimnisse, die den meinen gleichen.“
    „Was sind Eure Geheimnisse, Madame?“, antwortete er ihr ebenfalls auf Französisch.
    Marguerite lachte bitter. „Das spielt jetzt wohl kaum noch eine Rolle. Ich habe versagt, aber meine Geheimnisse nehme ich mit in mein Grab.“
    „Tut Ihr das tatsächlich? Nun, bis dahin mag es noch eine Weile hin sein, Madame. Ich habe das Gefühl, dass Feen, genau wie Katzen, viele Leben haben. Ihr seid jung. Ich bin überzeugt, Ihr wisst, wo Ihr hingehen könnt.“
    Verblüfft sah Marguerite ihn an, aber sein Gesicht verriet ihr nichts. Es war so schön und so kalt wie die der Marmorstatuen auf der Piazza. Aus seinen Zügen war alle Leidenschaft verschwunden. „Was meint Ihr?“
    „Damit meine ich, Madame – Bella wird wohl kaum Euer wahrer Name sein –, dass dies nicht Eure Todesnacht ist. Und meine ebenfalls nicht, auch wenn Ihr es gerne so hättet.“ Er stieß mit dem Dolch zu, traf aber nicht ihr Herz, sondern zerschlitzte ihren Rock, schnitt breite Streifen von der Seide ab. Dann steckte sich Nikolai wie ein Seeräuber den Dolch zwischen die Zähne und fesselte Marguerites Hände und Füße gekonnt.
    „Was macht Ihr da?“, schrie sie aufgebracht. So hatte die ganze Sache nicht ablaufen sollen! „Ich hätte Euch getötet! Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr mich nicht tötet? Wollt Ihr keine Rache nehmen?“
    „Oh, ich werde Rache nehmen, Madame, aber nicht heute Nacht.“ Er band den letzten Knoten an ihrem Handgelenk. Die Fessel saß so fest, dass sie nicht einmal die Finger krümmen konnte. „Und das wird an einem Tag geschehen, an dem Ihr es am wenigsten erwartet.“
    Nachdem er sie zusammengeschnürt hatte wie eine Festtagsgans, beugte er sich zu ihr hinunter und gab ihr einen zarten Kuss auf die Lippen. Er schmeckte immer noch nach Kräutern, Bier und ihrer eigenen roten Schminke. Und er roch immer noch nach einem sorglosen Sommertag.
    „Ich kann mich einfach nicht überwinden, eine solch besondere Schönheit zu zerstören“, raunte er. „Nicht nach Euren exquisiten Diensten, auch wenn ich nicht in den ganzen Genuss Eures Könnens gekommen bin. Adieu, Madame – für den Moment.“
    Er legte ihr den letzten Seidenstreifen über den Mund, band ihn zu und öffnete das Fenster, durch das Marguerite hatte flüchten wollen. Während sie ihn kochend vor Wut anstarrte, zwinkerte er ihr zu, sprang mit einer eleganten Bewegung durch das offene Fenster und war verschwunden.
    Marguerite schrie durch ihren Knebel hindurch. Sie wölbte den Rücken und strampelte mit den Beinen, doch vergebens. Sie war fest verschnürt, und ihre eigene List war ihr zur Falle geworden. Und dieses
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