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Die Seele der Elben

Titel: Die Seele der Elben
Autoren: Susanne Gerdom
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mehrere Bündel hervor, die sie nacheinander auf dem Bett ausbreitete. Sie musterte ihre Beute sorgfältig. Die Hose war zu weit und etwas zu lang, aber das ließ sich mit dem Gürtel und hochgekrempelten Hosenbeinen ausgleichen. Auch das Hemd war kein Problem, im Gegensatz zur Jacke. Der Küchenjunge, dem sie sie abgeschwatzt hatte, hatte zwar ihre Statur, aber allem Anschein nach Arme, mit denen er sich im Stehen in den Kniekehlen kratzen konnte. Sie drehte das Kleidungsstück nachdenklich in den Händen, dann griff sie nach einem Messer und säbelte an den Ärmeln herum, bis sie zwar ausgefranst, aber in der rechten Länge herabhingen. Sie schlüpfte in die Kleider, zerrte ungeduldig die Reste der Haarnadeln aus ihrer Frisur und drehte ihr Haar zu einer Schnecke, die sie unter eine speckige Kappe stopfte. Dann tauchte sie noch einmal unters Bett, um ein Paar ausgeblichener Stoffschuhe aus dem hintersten Winkel zu fischen. Das waren keine wirklich guten Straßenschuhe, aber sie hatte nichts Besseres auftreiben können. Unten in der Stadt würde sie sicherlich etwas Angemesseneres erwerben können.
    Vanandel baute sich vor dem Spiegel auf und betrachtete sich kritisch von allen Seiten, ehe sie einigermaßen zufrieden nickte. Das musste für einen ersten Ausflug reichen. Sie steckte ein paar Münzen ein und öffnete das Fenster. Sie hatte es noch nicht ausprobieren können, aber jetzt würde es sich zeigen, ob sie am Ende des Arkadengangs über die Balustrade zum Nebenflügel hinüberklettern konnte. Dann würde sie durch den Gesindetrakt und den Dienstboteneingang auf die Straße hinaustreten können. Das war in jedem Fall besser, als in diesem Aufzug durch den hochherrschaftlichen Flügel zu geistern.
    Entschlossen stieg sie durch das Fenster und lief die Arkade entlang. Die Balustrade war leicht überwunden, und der kurze Moment, in dem sie auf dem Sims balancierte, brachte ihr Blut zum Prickeln. Sie unterdrückte den Impuls, laut zu jubeln, schwang sich hinüber in den düsteren Arkadengang und lief zur Tür, die ins Gebäude führte. »Schweinekoben, ich komme«, murmelte sie und huschte wie ein Schatten ins Innere des Hauses.

Es war nicht gerecht. Er wollte nicht schleichen, lügen, flüstern, sich verbergen, jedes Mal ängstlich zusammenzucken, wenn Schritte sich ihnen näherten.
    Er wollte sie im hellen Sonnenschein betrachten dürfen, nicht nur im Halbdunkel des Waldes oder in eine moosige Senke gekauert. Er wünschte sich nichts mehr, als mit ihr am Tisch ihrer Eltern zu sitzen und ohne Furcht ihre Hand zu halten. Der bittere Geschmack des Verbotenen vergällte ihm die Süße ihres Anblicks und den sanften Kitzel, der ihn jedes Mal durchfuhr, wenn sie ihn berührte oder anlächelte.
    Ihr Haar hatte den leuchtenden, tiefen Ton duftenden Honigs, der aus einer Wabe quillt. Ihre Augen strahlten wie der Himmel an einem schönen Frühlingstag. Absolut unvergleichlich waren ihre zarten Ohren, mit den rosigsten, hübschesten Läppchen, die sich so samtweich unter seinen Lippen anfühlten, und den allerzierlichsten, perlmuttschimmernden Spitzen, die je ein Elbenohr geziert hatten. Und ihr Name klang wie Musik in seinen Ohren: Siiran. Siiran, die Sanfte, die Fröhliche, Siiran, die lächelte, wenn sie ihn sah, die ihn liebte …
    Er wurde unsanft aus seinen Träumen gerissen, als eine Stimme seinen Namen rief. Es war nicht der musikalische Ruf seiner Liebsten, deren Klang den Gesang der Vögel in den Schatten stellte. Nein, sein Ohr verletzte der grobe Schrei eines Esels, laut, hässlich rau und wie immer ungeduldig. Kurz, es war die Stimme seines Bruders Brant: »Llu-iiii-golf, wo steckst du, du Faulpelz!«
    Lluis rappelte sich auf und schnitt eine missmutige Grimasse. Er hatte gegen das warme Holz gelehnt hinter der Vorratskammer im Gras gesessen und in die letzten Sonnenstrahlen geblinzelt, als Brants Ruf ertönte. Wahrscheinlich kam sein Bruder wieder mit einer unglaublich wichtigen Aufgabe, die sofort erledigt werden musste. Es gab immer Holz, das zu hacken war, einen Ofen, in dem kein Feuer brannte oder Wasser, das den Frauen in der Küche fehlte und nun darauf wartete, von Lluigolf aus dem Brunnen gekurbelt zu werden. Lluis spuckte erbittert aus, als die bärenhafte Gestalt seines Bruders um die Ecke bog. Brant, der zweitgeborene Sohn seiner Mutter. Brant, der ihn schikanierte,
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