Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft
Autoren: Roger R. Talbot
Vom Netzwerk:
Gedanken daran vertreiben. Die Ärzte hatten ihm das Rauchen strikt verboten. So fing er an, über die Ereignisse der letzten Monate nachzudenken. Von all den erlittenen Verlusten schmerzte ihn der von Catherine noch immer besonders: Nie zuvor hatte ihm jemand derart gefehlt. Wie oft hatten sie sich in diesem Saal bis spät in die Nacht unterhalten, während im Hintergrund Bach spielte. Es kam ihm vor, als könne er sie noch vor sich sehen. Ruhig und aufmerksam. Elegant wie eine Katze. Wenn er doch nur die Zeit zurückdrehen könnte … er hätte alles gegeben, um Catherine wiederzubekommen. Er spürte, dass ihm die Augen feucht wurden, und versuchte, sich zu beherrschen. Ein Derzhavin weint nicht. Ein Derzhavin ist keine Heulsuse. Aber ein Derzhavin ist auch kein Stein, stellte er schmerzlich fest. Er berührte eine Taste der Fernbedienung, und die Musik verstummte schlagartig.
    Mühsam erhob er sich, auf den Stock gestützt, verließ den Saal und ging auf sein Zimmer zu. Jeder Schritt kostete ihn eine ungeheure Anstrengung, aber er sah es von der positiven Seite: Bis vor wenigen Wochen war er noch ans Bett gefesselt gewesen, und innerhalb der nächsten Wochen würde er sich, zumindest körperlich, wieder erholen. Doch was den Rest betraf, würde er nie wieder der Derzhavin von früher werden. Er spürte, dass der alte Gavril nicht durch jenen mörderischen Cocktail aus Wodka und Flüssignikotin getötet worden war, sondern durch ein sehr viel stärkeres Gift: den Verrat. Von nun an würde er ein anderer Gavril sein, er würde vorsichtiger, kühler sein, aber auch weniger glücklich.
    Während er durch das Foyer lief, öffnete sich die Eingangstür, und Kirill und Nadja erschienen auf der Schwelle.
    Gavril konnte seine Missbilligung nicht verbergen: Die Hand des Sibiriers umschloss die seiner Tochter. Er warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Es ist das zweite Mal, dass ich dich mit Nadja an der Hand in diesem Haus sehe.«
    Kirill musterte ihn eine Weile. Schließlich erwiderte er mit einem entwaffnenden Lächeln: »Aber diesmal bin ich durch den Haupteingang gekommen.« Sanft hob er Nadjas Hand und legte sie in die des Vaters. Der ergriff sie und begab sich auf den Weg in die Küche, Nadja zog er mit sich.
    Â»Ich habe Hunger«, sagte er schlicht.
    Nadja wandte sich zu Kirill um. Sie warf ihm einen verschwörerischen Blick zu, und er verschwand die Treppen hinauf.
    Schweigend erreichte Gavril die Küche, setzte sich an den Tisch und hängte den Stock an die Tischkante.
    Â»Was möchtest du?«, fragte sie, während sie den großen Wandkühlschrank öffnete.
    Gavril starrte auf das Plakat von Das Mädchen aus Sankt Petersburg, das gerahmt an der Wand hing: im Vordergrund die vierzehnjährige Catherine in einem Kleid aus dem neunzehnten Jahrhundert. Schließlich antwortete er: »Ich möchte den Grund wissen.«
    Â»Das würde Mama nicht wieder zum Leben erwecken«, bemerkte Nadja traurig. Sie nahm eine Flasche Milch, goss zwei Gläser ein und setzte sich neben den Vater.
    Â»Was ist das für Zeug?«, protestierte er.
    Â»Es wird dir guttun, Papa.«
    Gavril griff nach dem Glas und roch mit angewiderter Miene daran. Dann schob er es in die Mitte des Tisches. »Ich werde keine Ruhe finden, solange ich es nicht begriffen habe.«
    Â»Das Motiv?«
    Â»Alles. Das mit dem Bühnenprospekt … dem Stein … Catherine. Ich habe die einflussreichsten Leute in Irland darauf angesetzt. Aber offenbar bist du die Einzige, die diesen Stein jemals gesehen hat. Seit er abtransportiert wurde, ist er verschwunden. Und die Archäologie-Behörde deckt das Ganze … Warum? Wozu dient er? Und wo ist er hin? Mehr noch als unter dem Gift leide ich darunter …«
    Nadja sah ihm in die Augen. »Vielleicht kenne ich jemanden, der uns helfen kann.«

68
    New York, Broadway
Donnerstag, 7. April, 23.47 Uhr
    Der donnernde Applaus wollte nicht mehr enden. Die Premiere von Mercy of Grace war mehr als ein Erfolg gewesen. Sie war ein wahrer Triumph. Nie zuvor hatte sich Victoria so sicher auf der Bühne gefühlt.
    Alle auf den Fluren, von den Kostümbildnern bis zu den Beleuchtern, klatschten ihr Beifall. Einer Maskenbildnerin war durch die Freudentränen die Schminke verschmiert. Eine der Tänzerinnen aus dem Ballettcorps schmiss sich ihr vor lauter Begeisterung an den Hals, nahm dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher