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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft
Autoren: Roger R. Talbot
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daran hinderte, etwas zu sehen.
    Mit geübtem Blick überprüfte Iv, ob die Zutaten und Werkzeuge an den richtigen Stellen angeordnet waren: die zwölf Jutebeutel neben den entsprechenden Vertiefungen, das Richtscheit aus Eichenholz und die goldene Schöpfkelle auf dem Segment von Luis, der Eberesche, der Tannenzweig zu Florettes Füßen und das silberne Löschhütchen auf dem Segment von Beth, der Birke.
    Als sie sich vergewissert hatte, dass alles so war, wie es sein sollte, richtete Iv den Blick nach Osten und gab ein Zeichen des Einverständnisses: Nun nahm Florette den Tannenzweig auf, entzündete ihn an der mittleren Kerze, stieg auf den Stein und berührte damit den Torf in der Feuerstelle. Die Flammen begannen am Boden des Kessels zu lecken, während sie ihren Gesang anstimmte:
    Â»Ich war ein Meereswind …«
    Sobald die erste Strophe erklang, bewegte sich Iv in Richtung Osten, trat auf der Höhe von Luis, der Eberesche, an den Rand der Scheibe, stieg hinauf, kniete nieder, öffnete das Jutesäckchen und schüttete das Pulver aus zerkleinerten Zweigen in die Vertiefung …
    Â»â€¦ langsam gesellte sich die Eberesche hinzu …«
    Sie nahm das Richtscheit aus Eichenholz und strich damit langsam mehrmals über die Vertiefung, bis das Ebereschenpulver gleichmäßig darin verteilt war. Schließlich erhob sie sich und kehrte auf ihren Platz zurück …
    Â»â€¦ ich laufe rasch auf den Zweigen des Wissens …«
    Nun stieg Yana hinauf. Mit dem goldenen Schöpflöffel nahm sie vorsichtig das Ebereschenpulver auf und schüttete es bis auf das letzte Körnchen in den Kessel, bevor sie nach Süden zurückkehrte.
    Florette, die noch immer reglos neben dem Kessel verharrte, wechselte plötzlich das prosodische Register und stimmte einen Klang an, der den Duft schmelzenden Schnees in sich barg.
    Â»â€¦ ich war ein Windstoß auf einem uralten Gipfel …«
    Iv konzentrierte sich auf das Ritual, leerte ihren Geist. Weitere elf Mal dosierte sie, die Steinscheibe umkreisend, die übrigen Zutaten, und Yana schüttete sie in den Kessel.
    Von Nion, der finsteren Esche, die nie einen Schritt zurückwich, feine Splitter des Stammes.
    Von Fearn, der Erle, der Ersten, die sich regt, den blutroten Saft.
    Von Saille , der Langsamen, der sonnigen Trauerweide, zerriebene Zweige.
    Von Uath , dem Weißdorn und obersten Krieger, die im Saft seiner zarten Früchte eingeweichten, spitzen Stacheln.
    Von Duir, der Eiche, das in Pflanzenöl eingelegte Moos, das mit seinem Rauch das Feuer im Kopf entzündet.
    Von Tinne, der Stechpalme in Form des Taukreuzes, die zerteilten Blattrippen.
    Schalen von Coll, der Haselnuss, Schmetterling im glühenden August.
    Von Muin, dem Weinstock und Hügel der Poesie, trockene, von der letzten Sonne gerötete Blätter.
    Samen von Gort, dem Efeu, der an Boreas den Frostigen gemahnt.
    Stängel von Pethboc, der Binse, den Pfeilen im Kampf.
    Schließlich das zarte Elixier von Ruis, dem Holunder, der nur langsam brennt.
    Als der letzte Tropfen in den Kessel geglitten war, hielt die Krähe plötzlich in ihren Versen inne. Nun war die Reihe an Beth, dem weißen Baum des Nordens, den Jahreskreis zu schließen.
    Das dreizehnte Segment − das ohne Vertiefung − trug das Zeichen des Lebenssaftes. Das Ritual schrieb vor, dass er einer jungen Birke in der letzten Nacht des Lichtfestes mit einer goldenen Kanüle entnommen werden musste, die am untersten Ansatz der Zweige in den Stamm eingeführt wurde.
    Iv nahm den Krug vom Altar und trat ein letztes Mal auf Florette zu. Sie beobachtete, wie sich Yana mit gemessenem Schritt dem Getreidekorn näherte, es sanft um die Taille fasste und zum Kessel führte: Victoria ließ sich von dem Arm leiten, stieg unsicher auf das Buch der Blätter und erreichte blind die anderen.
    Iv erwartete sie mit dem bis zum Rand mit Lebenswasser gefüllten Krug in der Rechten, den sie ihr nun vorsichtig überreichte, damit sie ihn in den Kessel entleerte. »Jetzt«, flüsterte sie.
    Und während Florettes Stimme durchdringend und machtvoll zur letzten Ode anhob,
    Â»Oh
    Gwion Bach,
    ruchloser Wächter,
    vergieße das Geburtswasser der Ceridwen.
    Und geh zugrunde, um wiedergeboren zu werden«
    neigte Victoria mit zitternder Hand den Krug, und die Flüssigkeit ergoss sich bis auf den letzten Tropfen in den Kessel.
    Undurchdringliches
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