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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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Käfer saßen, konnte ich an nichts anderes denken. Sogar die Gangschaltung ging leichter als gestern. Hirsch fuhr zu Esthers Kiosk, um meinem Vater mein angefangenes Bild zu zeigen, und er erzählte ihm von dem Plan, aus dem Kiosk ein Café zu machen. Esther betrachtete meinen Vater von ihrem Platz hinter der Theke aus, sagte aber kein Wort. Als würde sie ihn jeden Tag hier sehen. Sie fing an, von der Crepe-Pfanne zu reden, die sie herbringen würde, wenn alles fertig sei. Und am Schluss sagte sie einen seltsamen Satz: »Falls die Reichen und die Schönen nicht alles kaputtmachen.«
    Hirsch schaute sie an und zog die Augenbrauen hoch.
    »Egal«, sagte Esther. »Frag das Mädchen, sie wird es dir schon sagen. Es gibt welche, denen reicht es nicht, schön zu sein, sie brauchen Geld, um noch schöner zu werden. Dafür sind sie bereit, alles zu tun, wirklich alles. Frag das Mädchen, wenn du mir nicht glaubst.«
    Hirsch schaute zu Joli, die außergewöhnlich rot wurde, noch röter als sonst. Sie war rot wie eine Tomate und man sah ihr an, dass sie nichts sagen konnte. Kein Wort.
    »Die Reichen und die Schönen«, sagte Esther noch einmal, und ich dachte plötzlich an das Mörderspiel und die Voodoo-Puppe, die wir in Benjis Zimmer gefunden hatten. Und dass Joli gesagt hatte, genau so eine Puppe habe Nimrod im letzten Jahr bekommen. Das bedeutete, wenn wir herausbekamen, wer Nimrod diese Puppe geschickt hatte, würden wir auch wissen, wer Benji quälte. Aber sie hatte ja gesagt, sie hätten es nie erfahren.
    Ein kleines Mädchen kam und verlangte ein Eis. Dann kam ein Mädchen und wollte ein Magnum-Eis. Danach fing mein Vater an, mit Esther über die Stühle zu sprechen, wie sie aussehen sollten und wo man sie am besten kaufte, ob man eine Erlaubnis benötigte, um die Stühle aufzustellen, für ein Wandbild und für eine Espressomaschine. Er redete wie früher, wie einer, der weiß, wovon er spricht. Und Esther hörte ihm zu wie früher, wie einem, der bekannt dafür ist, dass er weiß, wovon er spricht. Und dann fuhren wir weg.
    Sie bereiteten alles vor, mein Vater und Hirsch. Sie beachteten uns kaum, bis wir auf dem Hügel ankamen. Bevor wir losgefahren waren, hatte Hirsch mich noch gebeten, Benji anzurufen, der wieder nicht in die Schule gekommen war. Aber wie üblich nahm niemand ab.
    »Wir wissen wenigstens, wo wir sind«, sagte Hirsch auf Englisch, diesmal übersetzte es mein Vater. Er sprach Englisch von seiner Arbeit mit den Touristen her. Er hatte sie ja nicht nur herumgefahren, er hatte ihnen auch alles erklärt, und jetzt saß er mit mir, Joli und Hirsch zusammen auf dem Hügel, von dem aus man Benjis Haus sehen konnte. Wir saßen im Schatten eines Baums und er bediente uns mit Kaffee aus der Thermoskanne, die Hirsch vorbereitet hatte.
    Es dämmerte schon. Der Himmel färbte sich blauviolett und irgendwo krächzte ein Rabe laut und anhaltend, als wäre er der letzte. Als wäre es Zeit, das letzte Wort zu sagen. Aber kurz darauf fingen die Glocken an zu läuten und ich gab Joli das Fernrohr und streckte mich auf der Erde aus. Ich wollte genau den Augenblick sehen, wenn der Himmel dunkel wird. Als ich noch klein war und mein Vater mich auf lange Fahrten mitnahm, hatte ich mit ihm die untergehende Sonne beobachtet und versucht, genau diesen Moment zu erwischen, vor allem, wenn wir am Meer waren. Nicht dass man nicht sieht, wie die Sonne untergeht, das sieht man ganz genau, aber wann genau fängt die Dunkelheit an? Das hatte ich noch nie gesehen.
    »Da ist er«, schrie Joli und ich fuhr hoch. Sie gab mir das Fernrohr und ich sah Benji. Er trat durch das Tor, schaute nach rechts und links. Ich erwartete, dass er den Hang hinunterlaufen würde, aber er ging wieder zurück. Joli streckte die Hand nach dem Fernrohr aus, doch ich gab es ihr nicht. Ich sah, wie Benji sich vor dem Haus hinkauerte und anfing, in der Erde zu wühlen. Aus dem Loch holte er ein paar Gegenstände hervor. Was es war, konnte ich nicht genau erkennen, weil es dunkel wurde und weil er mit seinem Rücken das Loch verdeckte. Ich sah nur, dass er alles in einen Rucksack stopfte.
    Ich berichtete laut, was ich sah, wie ein Reporter, der von einem Basketballspiel berichtet. Aber Joli wollte unbedingt wissen, was er aus dem Loch herausholte. Ich gab ihr das Fernrohr. Sie schaute ein paar Sekunden durch, dann sagte sie vorwurfsvoll: »Man sieht nichts, es ist dunkel.« Als wäre das meine Schuld.
    »Er kommt noch einmal aus dem Tor«, sagte sie
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