Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
gesehen zu haben. Auch wenn er auf der Treppe zufällig auf meinen Vater und Hirsch stoßen würde, würde er sie sicher nicht erkennen. Hirsch hatte er noch nie gesehen und meinen Vater … Auch als Benji uns besucht hatte, war er nicht zu sehen gewesen.
    Wir standen hinter dem Engel und warteten. Ich hörte Joli atmen. Wir hätten nun schon reden können, aber wir taten es nicht. Wir krochen durch das Loch im Zaun und schauten uns um. Erst als wir sicher waren, dass Benji gegangen war, liefen wir zu dem Loch, das Benji gegraben hatte. Zunächst holten wir das Päckchen heraus, das tatsächlich in Zeitungspapier gewickelt war. Es enthielt zwei Puppen. Eine sah Benji ähnlich, so wie die, die wir in seinem Zimmer entdeckt hatten, war aber größer, und ihr ganzer Bauch steckte voller Nadeln. Die zweite Puppe war noch größer. Sie hatte schwarze Locken und in ihren Augen, direkt in den Pupillen, steckten zwei Nadeln.
    »Schabi«, flüsterte Joli, ihre Lippen berührten mein Ohr. »Das ist eine neue Puppe … das bist du, diese Puppe, das bist du.« Das glaubte sie wegen der Locken, aber mir war es egal, solche Puppen beeindruckten mich nicht. Doch ich verstand natürlich, was diese beiden Puppen zusammen bedeuteten dass der, der sie gemacht hatte, mich kannte. Ich sah Joli an, dass auch sie es kapiert hatte.
    Ich hielt das zweite Päckchen in der Hand und starrte hinunter in das Loch. Erst holte ich einen kleinen Schädel heraus, vielleicht von einer Katze, dann eine kleine braune Flasche, wie von Hustensaft. Und dann einen Haufen zerbrochener Holzteile. Sie waren alle schwarz. Einen Moment hatte ich das Gefühl, als hätte mir jemand in den Bauch getreten. Der Lack war zerkratzt, aber auf einigen Stücken sah man noch Reste der roten Blumen, die meine Schatulle geschmückt hatten. Die Schatulle war kaputt. Joli schaute die hölzernen Reste an, dann mich. Ich sagte kein Wort, ich konnte nicht. Joli griff in das Loch und holte noch ein paar Splitter heraus, zerbrochene Pastellstifte und einen roten Stift, der noch heil war.
    Joli legte ihre von der Erde schmutzige Hand auf meine, die ebenfalls schmutzig war. »Nicht wichtig«, flüsterte ich. Aber es war wichtig. Es war wichtig für mich und auch wichtig, um das Rätsel zu lösen.
    Ich öffnete das zweite Päckchen, das von Benji. Es war in eine weiße Plastikmülltüte gewickelt. Geldscheine waren darin. Das ganze Päckchen bestand aus Geldscheinen. Ich zählte nicht, aber ich ahnte, wie viel es war: tausendzweihundert Schekel, das ganze Geld aus Benjis Schuhschachtel.
    Wir verließen den Friedhof. Mein Vater erwartete uns. Flüsternd teilte er uns mit, dass Hirsch hinter Benji hergegangen sei. Er selber war hier geblieben, um mit uns auf den zu warten, der kommen würde.
    Ich zeigte ihm das Geld und erzählte ihm leise, was wir sonst noch in dem Loch gefunden hatten. Er packte das Geld wieder in die Mülltüte, faltete sie zusammen und sagte mir, ich solle es in das Loch zurücklegen und mich mit Joli hinter dem Engel von Schwester Rosaria verstecken. »Ihr wartet drinnen auf ihn, ich draußen«, sagte er. »Macht euch keine Sorgen, niemand wird mich sehen, ich habe meine Methoden.« Er lächelte und sagte, er würde einen Kuckuck nachmachen, sobald jemand auftauchte. Ich fragte ihn, ob er sicher sei, dass jemand käme.
    »Und ob«, sagte mein Vater. »Er braucht das Geld und das Geld ist hier.«
    Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass wir überhaupt nicht lange gewartet hatten, nur zwanzig Minuten. Aber jede dieser Minuten hatte sich ewig hingezogen. Sogar der Engel Rosarias sah aus, als würde er vor lauter Nervosität gleich mit den Flügeln schlagen und davonfliegen. Als wir einen Kuckucksruf hörten, drückte Joli mit aller Kraft meine Hand. An dem Druck ihrer Finger, die sie notdürftig an ihrer Hose gereinigt hatte, merkte ich, dass sie Angst hatte und dass sie angespannt war.
    Wir hielten uns zurück, genau wie Hirsch es uns gesagt hatte, obwohl Joli ihn am liebsten schon auf dem Friedhof geschnappt hätte. Wir sahen zu, wie er das Geld herausnahm und es in einen dunkelblauen Rucksack steckte, den er mitgebracht hatte. Dann leuchtete er mit einer Taschenlampe in das Loch und legte ein neues Päckchen hinein. Wir konnten ihn nicht erkennen, auch seinen Körper kaum, weil er einen dunklen Trainingsanzug trug und vor dem Gesicht hatte er eine Maske wie gestern. Er ging auf das Loch im Zaun zu. Dort dauerte es eine Weile, bis er seinen langen Körper
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher