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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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Muskeln. Ein Symbol für den gequälten Benji. Hinter mir hörte ich die schweren Atemzüge meines Vaters. Und plötzlich hätte ich am liebsten laut geschrien, aus Mitleid mit Benji und aus Freude über mich.
    Fast hätte ich Benji verloren, er war plötzlich verschwunden, als hätten ihn Außerirdische entführt. Ich drehte mich um und wollte etwas sagen, aber mein Vater gab mir das Zeichen zum Weitergehen. Wir kamen am Tor vorbei und gingen weiter, um das Kloster herum. Hirsch richtete die Taschenlampe auf den Zaun und fand die Öffnung. All das passierte in absoluter Stille. Sogar die Zikaden ließen sich nicht von uns stören und zirpten weiter wie vorher. Wir achteten auch auf unseren Atem, denn uns war klar, dass Benji, wenn er uns entdeckte, einfach verschwinden würde wie bei den letzten Malen.
    Wir warteten eine ganze Weile, bis Hirsch uns ein Zeichen gab. Joli hielt für mich den Zaun hoch und ich kroch auf allen vieren hindurch, dann hielt ich von innen für Joli den Zaun. Mein Vater und Hirsch blieben mit dem Fernrohr draußen. Ich hatte die Taschenlampe in der Hand, knipste sie aber nicht an. Joli wischte sich schnell die Hose sauber, sie ist trotz allem ein Mädchen. Doch sie hörte sofort wieder auf, um kein unnötiges Geräusch zu machen.
    Wir wussten, was wir suchten, mein Vater hatte uns vorbereitet. Er hatte gesagt, es gäbe auf dem Friedhof einen großen Grabstein, hinter dem wir uns leicht verstecken könnten, den Grabstein von Schwester Rosaria, einer Nonne, die für ihre guten Werke berühmt war und Anfang des Jahrhunderts an Malaria gestorben war. Nicht nur, dass ihr Standbild Flügel hatte, die einen verbargen, das Grab war in einer entfernten Ecke des Friedhofs. Dort hatte die Nonne begraben werden wollen, in einer Mauerecke, aber die Nonnen hatten ihr später doch einen besonderen Grabstein errichtet.
    Wir krochen zwischen den weißen Grabsteinen hindurch zu dieser Ecke. Ein bisschen unheimlich war es schon, aber auch irgendwie komisch. Wir krochen wie Babys, aber über Gräber, bis zu dem Grabstein in Form eines Engels. Von dort sahen wir ihn, Benji. Er kniete in der Ecke und grub in der Erde neben einem Grab mit einem ganz normalen Stein. Plötzlich hob er den Kopf und schaute sich um, leuchtete auch mit seiner kleinen Taschenlampe um sich. Die Taschenlampe hatte ich ihm selbst geschenkt, als er die beste Mathematiknote seiner Klasse bekam.
    Ich hatte Angst, er würde in unsere Richtung leuchten und uns entdecken, aber der Engel verdeckte uns. Benji leuchtete wieder auf das Loch, das er grub. Eigentlich grub er nicht wirklich, er hob nur die Erde aus einem Loch, das vorher schon da gewesen sein musste, jedenfalls brauchte er sich nicht anzustrengen. Aus dem Loch hob er ein Päckchen heraus, nicht groß, in Papier eingewickelt. Vielleicht in Zeitungspapier, das war nicht zu erkennen. Er wickelte das Papier ab, aber wir konnten nicht erkennen, was darin war. Wir sahen nur, dass er sich plötzlich den Bauch hielt, als wäre er von plötzlichen Schmerzen gepackt. Er krümmte sich auf der Erde zusammen und bewegte sich nicht mehr. Joli wollte schon aufstehen und zu ihm laufen, ich hielt sie im letzten Moment zurück. Ich griff nach ihrer Hand. Nicht mit Gewalt, sondern ganz zart. Und sogar in diesem Moment, auf einem Friedhof, spürte ich, wie weich ihre Haut war, und konnte ihren Duft riechen. Es war mir ganz egal, dass ich nachts auf einem Friedhof war: Joli war neben mir und mein Vater wartete draußen auf mich. Hinter der Mauer war schon der Rand des Mondes zu sehen und die Zypresse von gestern bekam allmählich schärfere Konturen.
    Benji blieb eine ganze Weile auf dem Boden liegen, erst als der Mond bereits deutlicher zu sehen war, stand er auf. Aus seinem kleinen Rucksack holte er ein Päckchen, in Plastiktüte gewickelt, und legte es in das Loch. Er schaute es eine Weile an, dann machte er die Taschenlampe aus. Er hatte die Beine an den Bauch gezogen und wiegte sich hin und her. Dabei murmelte er etwas vor sich hin, was wir jedoch nicht verstehen konnten. Dann seufzte er und schwieg. Nun war schon der ganze Mond über der Mauer zu sehen, wie ein riesiges Gesicht sah er aus. Benji saß noch immer so da wie vorher. Noch ein paar Minuten vergingen, dann stand er langsam auf, seufzte wieder, schaute sich um und ging zögernd auf die Öffnung im Zaun zu.
    Wären wir dort geblieben, hätte er uns spätestens jetzt entdeckt, aber der Engel verbarg uns. Benji kroch durch den Zaun, ohne uns
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