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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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durch die Öffnung geschoben hatte. Wir warteten einen Moment, dann folgten wir ihm. Er machte lange Schritte, aber er beeilte sich nicht sonderlich. Seine Gummisohlen machten keinerlei Geräusch. Auf halber Höhe der Treppe sprang mein Vater ihn an.
    Ich habe keine Ahnung, wo er sich versteckt hatte, er ist immerhin ein ausgewachsener Mann. Es sah aus, als wäre er aus dem Felsen neben der Treppe herausgebrochen. Der Große war vollkommen überrascht und stürzte zu Boden, gab aber keinen Ton von sich. Er hob den Kopf und wollte aufstehen. Mein Vater riss ihm mit einer raschen Bewegung die Maske vom Gesicht. Die Haare, die plötzlich frei herunterfielen, glänzten im Mondlicht.
    Joli schrie nur ein Wort: »Nimrod!«

13. Kapitel

    Wir saßen auf den hohen Stühlen von Esthers Kiosk. Es sah vielleicht nicht ganz so aus wie ein Café in Rechawja, aber Esther hatte uns Schokoladen-Crepes gemacht, die warm und süß schmeckten. Und niemand ging vorbei, ohne stehen zu bleiben und etwas zu dem Bild zu sagen, das ich an die Wand gemalt hatte. Mein Vater hatte es sogar fotografiert, für den Fall, dass es jemand kaputtmachen würde. Man weiß ja nie.
    Ich betrachtete das Bild: ein Café, wie ich es einmal im Kino gesehen hatte, mit hohen Stühlen und kleinen Tischen und einer Musikbox. Das alles hatte ich auf die Wand gemalt. Und Esther. Nun ja, nicht ganz genau, eine jüngere, schönere Esther, ohne die Hornhautschwellung und ohne das lahme Bein, aber Esther findet die Darstellung sehr gelungen, und das ist die Hauptsache.
    In den ganzen letzten Tagen hatte Esther nicht aufgehört, über Nimrod zu reden, nicht nur morgens, wenn wir in der Pause zu ihr kamen, sondern auch abends. Wie ein solcher Junge aus gutem Elternhaus, wie man so sagt, sich das Leben derart zerstören kann, und wofür? Für Geld. Zum tausendsten Mal sagte sie jedem, der es ohnehin schon wusste, dass ihm die Schönheit in den Kopf gestiegen war und dass er wegen dieser Schönheit auch das Geld gebraucht hatte. »Hat der Mensch nicht genug mit dem, was Gott ihm gegeben hat? Braucht er noch das Fernsehen und dass alle ihn sehen? Du lieber Himmel.« Und zu Hirsch sagte sie immer wieder: »Wozu ist sein Vater Professor? Um die Augen zuzumachen?« Und als hätte er es nicht schon eine Million Mal gehört: »Wenn Nimrods Eltern ihn nicht so vernachlässigt hätten, wenn sie aufgepasst hätten, hätte er sich auch nicht diese Arbeit als Model gesucht. Ist das eine Arbeit für einen Mann? Das ist doch was für Mädchen. Ein Mann braucht nicht schön zu sein, er muss nur ein Mann sein.« Hirsch hatte gelacht. »Hoffentlich habe ich Glück«, sagte Esther, zog ihr Amulett aus dem Kleid und küsste es. Sie schaute sich um und betrachtete die Wand, die Stühle und die Espressomaschine, die Hirsch ihr geschenkt hatte. Sie hätte bis morgen so schauen können, wenn nicht jemand gekommen wäre, um etwas zu kaufen. Ein Mann blieb stehen und verlangte Zigaretten. Sie steckte ihr Amulett in den Ausschnitt zurück. Wir wussten, dass Nimrod nicht mehr hierher kommen würde.

    »Nichts kann vollkommen sein«, sagte Hirsch im Umkleideraum des Basketballplatzes vom Gymnasium. Er schaute mich mit seinen blauen Augen an. Dann wandte er sich an meinen Vater und schlug ihm auf die Schulter.
    »Nicht schlimm, Schabi«, redete er schließlich weiter. »Bedeutet gar nichts, dass ihr habt verloren. Hätte man Verlängerung gegeben, ihr hättet bestimmt gewonnen.«
    Jo’el, der Trainer, kam auf seinen Krücken angehumpelt.
    »Zwei Punkte«, sagte er. »Es gibt keinen Gott, sage ich euch. Aber alle Achtung, Schabi, wie du gespielt hast mit deinem Knöchel …«
    Mein Vater schaute mich fragend an.
    Ich kann nicht richtig zwinkern, immer gehen bei mir beide Augen auf einmal zu, aber mein Vater verstand das Zeichen, das ich machte. Sein Lächeln wurde breiter.
    »Malst du mir was auf die Krücken?«, fragte Jo’el. Aber er meinte es nicht ernst, er war mit dem Kopf noch bei dem Spiel. »So einen Wettkampf gibt es nur alle hundert Jahre«, sagte er. »Das könnt ihr mir glauben.«

    Nicht dass ich mich gefreut hätte, als wir Nimrods wahres Gesicht entdeckten, ich habe mich wirklich nicht gefreut. Ich freute mich auch nicht, dass er aus der Schule entfernt wurde. Ich weiß nicht, was mit ihm passieren wird, er ist ja noch minderjährig. Ich freute mich nicht, als ich seine Mutter so weinen hörte, dass ihr der Polizist ein Glas Wasser brachte. Wie ein kleines Kind weinte sie. Ich freute
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