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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht
Autoren: Yasmina Khadra
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Übergang können Sie nichts Besseres finden. Es ist kein Palast, aber die Gegend ist ruhig, und die Nachbarn sind ehrliche Leute.«
    Er führte uns zu einem »Patio« im hintersten Winkel einer schmutzigen, verpesteten Sackgasse: ein Wohnhof, der eher einem Stall ähnelte. Er bat uns, draußen zu warten, räusperte sich kräftig auf der Türschwelle, um den Frauen zu bedeuten, sich unsichtbar zu machen, wie es Sitte war, sobald ein Mann ein Haus betrat, und winkte uns dann, als der Weg frei war, herein.
    DerBau bestand aus einem Innenhof, um den die einzelnen Räume angeordnet waren, randvoll mit Familien, die der Hungersnot und dem Typhus auf dem Land entronnen waren und nicht wussten, wohin.
    »Hier wären wir«, sagte der Makler und schob einen Vorhang zur Seite, hinter dem sich ein unbewohnter Raum auftat.
    Kahl und fensterlos war er, kaum breiter als ein Grab und nicht minder trostlos. Es roch nach Katzenpisse, verrecktem Geflügel und Erbrochenem. Die Mauern, feucht und schwarz, standen nur durch ein Wunder noch aufrecht; der Boden war mit einer dicken Schicht Mist und Rattenkot bedeckt.
    »Ihr werdet hier in der Gegend kein preiswerteres Quartier finden«, versicherte uns der Makler.
    Der Blick meines Vaters blieb an einer Kolonie von Schaben hängen, die sich an einem schmutzstarrenden Abflussloch häuslich niedergelassen hatten, wanderte nach oben zu den Spinnweben, in denen etliche tote Mücken klebten, während der Makler ihm einen lauernden Blick aus dem Augenwinkel zuwarf.
    »Einverstanden«, sagte mein Vater zur großen Erleichterung des Mannes.
    Und schon begann er, unsere Habseligkeiten in einer Ecke des Raumes aufzustapeln.
    »Die Gemeinschaftslatrinen befinden sich hinten im Hof!« Der Makler geriet nahezu ins Schwärmen. »Es gibt sogar einen Brunnen, allerdings ist er versiegt. Ihr müsst achtgeben, dass die Kinder dem Brunnenrand nicht zu nahe kommen. Im letzten Jahr wurde der Verlust eines kleinen Mädchens beklagt, weil irgendein Trottel vergessen hatte, den Deckel auf den Brunnen zu tun. Abgesehen davon: keine besonderen Vorkommnisse. Meine Mieter sind korrekte Leute, sie machen keinen Ärger. Sie kommen aus dem Hinterland, arbeiten hart und beklagen sich nie. Wenn ihr irgendetwas braucht, wendet euch an mich, an niemanden sonst!«, schärfte er uns ein. »Ich kenne jede Menge Leute und kann rund um die Uhr alles für euch auftreiben, wennihr das nötige Kleingeld habt. Nur zu eurer Information: Ich vermiete auch Matten, Decken, Öllampen und Petroleumkocher. Ihr müsst nur fragen. Dem, der’s bezahlt, dem brächte ich noch die Quelle in der blanken Faust.«
    Mein Vater hörte schon gar nicht mehr hin. Er verabscheute ihn bereits. Während er für Ordnung in unserer neuen Bleibe sorgte, sah ich, wie mein Onkel den Makler hinauskomplimentierte und ihm verstohlen etwas in die Hand drückte.
    »Das dürfte ausreichen, um sie für geraume Zeit in Ruhe zu lassen.«
    Der Makler hielt den Geldschein gegen die Sonne, betrachtete ihn mit einem Ausdruck scheelen Triumphs, führte ihn dann an Stirn und Mund und japste:
    »Wohl wahr, dass Geld nicht stinkt, bei Gott! Dafür riecht es doch einfach zu gut!«

2 .
    MEIN VATER HATTE KEINE ZEIT zu verlieren. Er wollte so schnell wie möglich aus der Talsenke heraus. Gleich am nächsten Morgen nahm er mich in aller Herrgottsfrühe auf der Suche nach einer Arbeit mit, die ihm ein paar Sous einbringen mochte. Nur, dass er sich nicht auskannte mit der Stadt und keine Ahnung hatte, wie er es anstellen sollte. Erschöpft und unverrichteter Dinge traten wir bei Einbruch der Dunkelheit den Rückweg an. In der Zwischenzeit hatte meine Mutter unsere Wohnhöhle gereinigt und unsere Sachen ordentlich verstaut. Wir schlangen gierig unser Essen hinunter und schliefen danach auf der Stelle ein.
    Am nächsten Morgen, noch zu nachtschlafender Stunde, zogen mein Vater und ich aufs Neue los, um Arbeit zu finden. Nach einem langen Gewaltmarsch erregte ein dichtes Menschengedränge unsere Aufmerksamkeit.
    »Was ist da los?«, fragte mein Vater einen in Lumpen gehüllten Bettler.
    »Sie suchen Träger, um einen Frachter zu ent laden.«
    Mein Vater hielt das für die Chance seines Lebens. Er befahl mir, auf der Terrasse einer vorsintflutlichen Garküche zu warten, und stürzte sich in die Menge. Ich sah, wie er sich mit den Ellenbogen durchboxte und dann im Gewirr verschwand. Als der Lastwagen, auf dessen Ladefläche sich die Galeerensklaven drängten, losfuhr, tauchte mein Vater
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