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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht
Autoren: Yasmina Khadra
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Hut aus Alfagras saß er da und betrachtete tagaus, tagein die künftige Ernte, die nach so vielen undankbaren, mageren Jahren endlich einen Lichtblick versprach.
    Bald war Erntezeit. Je näher sie rückte, desto unruhiger wurde mein Vater. Er sah sich bereits mit geschwungenem Arm die Garben schneiden, sah sich Hunderte von Vorhaben bündeln und in Hülle und Fülle seine Hoffnungen speichern.
    Knapp eine Woche zuvor hatte er mich neben sich auf den Karren gesetzt und war mit mir in das Dorf gefahren, das einen Steinwurf weit hinterm Berg lag. Normalerweise nahm er mich nie irgendwohin mit. Vielleicht hatte er gedacht, dass es jetzt, wo es aufwärtsging, wohl an der Zeit sei, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen und eine neue Denkweise zu entwickeln, sich eine neue Sicht auf die Dinge zuzulegen. Unterwegs hatte ersogar ein Beduinenlied geträllert. Ich hatte ihn zum ersten Mal im Leben singen hören. Seine Stimme schwankte beständig hin und her, so schräg und so schief, dass es den letzten Ackergaul in die Flucht geschlagen hätte, doch für mich gab es nichts Schöneres – kein Bariton hätte sich mit ihm messen können. Gleich danach verstummte er wieder, verblüfft, dass er sich so hatte gehen lassen können, ja nachgerade beschämt, sich vor seinem Sprössling so zur Schau gestellt zu haben.
    Das Dorf verhieß nichts Gutes. Ein verlorenes Loch von tödlicher Tristesse, mit rissigen Lehmstrohhütten, die von Armut kündeten, und Gassen, die so hässlich waren, dass sie sich am liebsten verkrochen hätten, hätten sie nur gewusst, wohin. Dazu ein paar dürre Bäume, von Ziegen benagt, die ihr Martyrium still erduldeten, hoch aufragend wie Galgen. Unten am Stamm hockten Nichtstuer, mit denen es nicht weit her war. Wie ausrangierte Vogelscheuchen sahen sie aus, sich selbst überlassen, kurz davor, sich im nächsten Wirbelsturm aufzulösen.
    Mein Vater hielt seinen Karren vor einer hässlichen Bude an, vor der ein Haufen barfüßiger Kinder herumhing, die statt in Ganduras in grob zusammengenähten Jutesäcken steckten. Die kahlgeschorenen, von eitrigem Schorf gesprenkelten Schädel verliehen ihrer Erscheinung etwas Endgültiges, fast das Signum einer Verdammnis. Sie umringten uns mit der Neugier eines Rudels Jungfüchse, in deren Revier unerlaubt eingedrungen wird. Mein Vater stieß sie mit der Hand beiseite, bevor er mich in den Laden schob, wo ein Mann zwischen leeren Regalen vor sich hin döste. Er machte sich nicht einmal die Mühe aufzustehen, um uns zu begrüßen.
    »Ich bräuchte Männer und Material für die Ernte«, erklärte ihm mein Vater.
    »Ist das alles?«, erwiderte der Händler mit matter Stimme. »Ich habe auch Zucker und Salz, Öl und Grieß im Angebot.«
    »Jetzt nicht, später dann. Kann ich auf dich zählen?«
    »Wann brauchst du sie, die Männer und ihre Gerätschaften?«
    »Wiewäre es nächsten Freitag?«
    »Du bist der Boss. Du pfeifst, und sie kommen.«
    »Gut, dann sagen wir Freitag nächster Woche.«
    »Einverstanden«, brummte der Händler und zog sich den Turban ins Gesicht. »Freut mich zu hören, dass du deine Ernte gerettet hast.«
    »Vor allem habe ich meine Seele gerettet«, antwortete mein Vater, schon im Gehen.
    »Dazu müsste man erst mal eine haben, mein Freund.«
    Mein Vater war auf der Türschwelle zusammengezuckt. Er hatte aus der Bemerkung des Händlers wohl eine giftige Anspielung herausgehört. Er kratzte sich am Kopf, kletterte auf seinen Karren und machte sich auf den Rückweg. Sein Selbstwertgefühl war empfindlich getroffen. Sein Blick, der am Morgen noch so strahlend war, hatte sich verdüstert. Er muss die Antwort des Händlers als böses Omen gedeutet haben. So war das mit ihm; man brauchte ihm nur leise zu widersprechen, schon war er aufs Schlimmste gefasst; man brauchte nur seinen Eifer zu loben, schon fühlte er sich dem bösen Blick ausgesetzt. Ich war mir sicher, dass er es im tiefsten Inneren schon bedauerte, lauthals gejubelt zu haben, obwohl noch nicht eine Ähre im Sack war.
    Während der Rückfahrt hatte er sich wie eine Schlange in sich selbst verkrochen und das Maultier unablässig mit der Gerte angetrieben. Aus jeder seiner Bewegungen sprach düstere Wut.
    In Erwartung besagten Freitags hatte er uralte Erntemesser ausgegraben, kaputte Sicheln und anderes Werkzeug, das er noch reparieren wollte. Ich folgte ihm in gebührendem Abstand mit meinem Hund, stets auf einen Befehl von ihm lauernd, der mir erlaubt hätte, mich nützlich zu machen. Doch
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