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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht
Autoren: Yasmina Khadra
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nur noch ein paar frische Eier.«
    »Ich sagte doch, kein Feuer. Es soll niemand merken, dass wir hier sind … Dann essen wir eben Tomaten und Zwiebeln.«
    Die Gluthitze legte sich, und die Blätter an den Ölbaum zweigenbegannen sich sachte im Wind zu regen. Eidechsen raschelten durchs trockene Gras. Die Sonne zerfloss am Horizont wie ein aufgeschlagenes Ei.
    Mein Vater hatte sich unter einem Felsen ausgestreckt, ein Knie ragte in die Luft, den Turban hatte er sich über das Gesicht gezogen. Er hatte nichts zu sich genommen. Als sei er uns böse.
    Kurz bevor es dunkelte, tauchte eine männliche Gestalt auf einem Bergkamm auf und wedelte heftig mit den Armen. Näher kommen konnte er nicht, aus Respekt vor meiner Mutter. Mein Vater schickte mich los, um ihn zu fragen, was er wolle. Es war ein Hirte in abgerissener Kleidung, mit welkem Gesicht und rauen Händen. Er bot uns ein Dach überm Kopf und zu essen an. Mein Vater lehnte die Gastfreundschaft ab. Der Hirte beharrte darauf – seine Nachbarn würden ihm nicht verzeihen, eine Familie im Freien übernachten zu lassen, in unmittelbarer Nähe seiner Hütte. Mein Vater lehnte mit aller Entschiedenheit ab. »Ich will niemandem etwas schulden«, brummelte er. Der Hirte war tief gekränkt. Schimpfend stapfte er zu seiner mageren Ziegenherde zurück.
    Wir verbrachten die Nacht also unter freiem Himmel. Meine Mutter und Zahra unter dem Olivenbaum, ich unter meiner Gandura, während mein Vater auf einem Felsen Wache hielt, einen Säbel zwischen die Schenkel geklemmt.
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mein Vater wie verwandelt. Er war frisch rasiert, hatte sich an einer Quelle das Gesicht gewaschen und saubere Kleidung angezogen, eine Weste über einem ausgeblichenen Hemd, dazu eine Pluderhose, in der ich ihn noch nie gesehen hatte, und nicht mehr ganz neue, aber frisch geputzte Lederschuhe.
    Der Bus kam in dem Moment um die Ecke, als die Sonne sich gerade über den Horizont schob. Mein Vater stapelte unser Hab und Gut auf dem Omnibusdach und kommandierte uns dann auf die Hinterbank. Zum ersten Mal im Leben sah ich einen Omnibus. Als er losholperte, klammerte ich mich an meinen Sitz, verängstigt und fasziniert zugleich. Hier und da dösten ein paarPassagiere vor sich hin, meist Rumis, Europäer, in ärmlichen Anzügen. Ich konnte nicht genug von der Landschaft bekommen, die beidseits der Scheiben vorüberzog. Der Fahrer vorne beeindruckte mich sehr. Ich sah von ihm nur den Rücken, der so breit wie eine Festung war, und seine kräftigen Arme, die das Lenkrad machtvoll hin und her wuchteten. Rechts von mir schwankte ein zahnloser Greis bei jeder Kurve auf seinem Sitz hin und her. Zu seinen Füßen stand ein hutzliger Flechtkorb, in den er bei jeder Biegung griff, um zu prüfen, ob noch alles heil war.
    Der unerträgliche Dieselgeruch und die Haarnadelkurven machten mir schließlich zu schaffen, ich döste ein, mit flauem Magen und einem Kopf wie ein Platzballon.
    Der Bus hielt auf einer freien Fläche, die von Bäumen eingefasst war, gegenüber einem großen roten Backsteingebäude. Die Reisenden stürzten sich auf ihr Gepäck, traten mir in der Eile auch auf die Füße, aber ich merkte es gar nicht. Ich war so überwältigt von dem, was ich sah, dass ich völlig vergaß, meinem Vater mit dem Gepäck zu helfen.
    Die Stadt …!
    Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es derart weitverzweigte Ansiedlungen geben könnte. Es war ungeheuerlich. Im ersten Moment fragte ich mich, ob das Unwohlsein, das mich im Bus befallen hatte, mir nicht einen Streich spielte. Hinter dem Platz reihten sich, so weit der Blick reichte, Häuser auf, hübsch aneinandergeschachtelt, mit blumengeschmückten Balkons und hohen Fenstern. Die Straßen waren asphaltiert und von Gehwegen gesäumt. Ich konnte es nicht fassen, fand noch nicht einmal Worte für all das, was mir ins Auge fiel. Allenthalben erhoben sich wunderschöne Anwesen hinter schwarz gestrichenen Eisengittern, verspielt und imposant zugleich. Familien saßen entspannt auf ihrer Veranda, an weißen Tischen, auf denen Karaffen und hohe Gläser mit Orangeade standen, während Kinder mit rosigem Teint und goldenem Haar in den Gärten tollten. Ihr Lachen sprudelte durchs Blatt werk,kristallklar wie ein Wasserstrahl. Diese vom Schicksal begünstigten Orte verströmten eine Ruhe und ein Wohlgefühl, wie ich es nie für möglich gehalten hätte – sie bildeten den Gegenpol zum Gestank, der bei uns auf dem Land herrschte, wo die
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