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Die schottische Braut

Die schottische Braut

Titel: Die schottische Braut
Autoren: Deborah Hale
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antwortete nicht sofort. Harris fragte sich, ob er mit seiner Neckerei zu weit gegangen war. In diesem Augenblick plötzlicher Stille bemerkte er, dass der Wind hörbar nachgelassen hatte. Die schlingernden Bewegungen der Bark waren in ein sanftes Rollen übergegangen.
    “Ich werde diese Buße mit einem kleinen Zauber von mir selbst begleichen”, erklärte Jenny. “Ich verwandle Sie in einen charmanten Gentleman, der unter allen Mädchen dasjenige auswählen kann, das ihm gefällt.”
    Harris lachte. “Wenn Sie diese Art von Zauberkraft besitzen, dann sollten Sie vorsichtig sein, dass man Sie nicht als Hexe verbrennt.”
    “Ich erteile Ihnen die erste Lektion am besten sofort”, meinte sie. “Nächstes Mal, wenn Sie zu einer Frau sprechen, tun Sie so, als wäre es dunkel und sie ein klein wenig beschwipst durch den ersten Genuss von Whisky. Dann reden Sie mit ihr, genauso wie Sie heute Nacht mit mir geredet haben – sanft und freundlich. Ich versichere Ihnen, schon nach wenigen Augenblicken wird sie die Narben in Ihrem Gesicht nicht mehr bemerken.”
    Jenny erwachte durch Schritte und Stimmen draußen auf dem Gang. Sonnenstrahlen drangen durch das kleine Fenster. Es war Morgen, und der Sturm hatte sich gelegt. Sie fühlte nur noch ein leicht flaues Gefühl im Magen, doch ihr war ganz gewiss nicht mehr so elend zumute wie in der vergangenen Nacht. Diese Erleichterung wurde von einem stechenden, pochenden Schmerz in ihrem Kopf beeinträchtigt.
    Ganz in der Nähe vernahm sie das Schnarchen eines Mannes. Die Wände zwischen den Kajüten müssen dünn wie Papier sein, dachte sie. Als sie sich in der engen Koje umdrehte, fand sie sich plötzlich Nase an Nase mit Harris Chisholm, der friedlich schlummerte und dabei mit dem Kopf auf ihrem Kissen ruhte.
    “Mr Chisholm, was tun Sie immer noch hier?” Jenny fuhr hoch und zog sich in eine Ecke der Koje zurück, dabei hielt sie schützend die Decke vor ihrer Brust.
    Harris, der immer noch auf der Truhe saß, hob seinen Kopf von seinem Ruhelager auf dem Kissen. “Was ist los?” Mit halb geschlossenen Augen sah er sich in der Kabine um. Als er Jenny erblickte, zuckte er sichtbar zusammen.
    “Ich muss eingeschlafen sein, als ich Ihnen ‘Rob Roy’ zu Ende erzählte.” Er gähnte hinter vorgehaltener Hand, ehe er seine Arme streckte.
    “Wissen Sie, was das bedeutet? Wenn jemand erfährt, dass Sie die ganze Nacht in meiner Kabine waren, dann ist meine Ehre ruiniert. Roderick Douglas wird sich niemals mit mir vermählen! Wie konnten Sie das nur zulassen?”
    “Ich?” Harris erhob sich entrüstet. “Sie baten mich doch zu bleiben. ‘Tun Sie mit mir, was Sie wollen’, haben Sie gesagt. ‘Bleiben Sie, und erzählen Sie mir mehr von der Geschichte’, forderten Sie mich noch auf. Sie glaubten, wegen der Seekrankheit sterben zu müssen, doch ich habe Sie gepflegt. Und das ist der Dank dafür, den ich erhalte. Sie schreien mich an wie ein Fischweib. Es klingt so, als hätte ich mir den Weg in Ihre Kabine erzwungen und Ihnen nachts Gewalt angetan!”
    “Sie haben meine Tür zerbrochen!” beschuldigte Jenny ihn.
    “Das war ein Malheur, das wissen Sie sehr genau. Und jetzt sollten Sie nicht so schreien, denn sonst wird noch die ganze Mannschaft auf uns aufmerksam. Wir beide wissen, dass nichts vorgefallen ist, was Ihrer Reputation Schaden zugefügt hätte – es sei denn, Sie zählen den Whisky, den Sie wie eine Fontäne ausspien, als Tatbestand dazu.” Harris musste bei diesem Gedanken lachen.
    Auch Jenny konnte nicht ernst bleiben.
    “Ich werde Stillschweigen bewahren, dass ich hier war, wenn Sie wollen, und niemand wird es je erfahren”, versicherte Harris ihr. “Selbst, wenn Roderick Douglas etwas erfahren sollte, und Sie deswegen sitzen lässt, verspreche ich, aus Ihnen eine ehrbare Frau zu machen.”
    Jenny ergriff das Kissen und warf es ihm an den Kopf. “Wenn Sie irgendetwas tun, was meine Hochzeit mit Roderick Douglas in Gefahr bringt, würde ich Sie nicht heiraten, selbst wenn Sie außer Roderick Douglas der einzige Mann in ganz Amerika wären!”
    Glücklicherweise gelang es Harris, Jennys Kajüte zu verlassen, ohne dabei gesehen zu werden. Die Mannschaft war zu sehr damit beschäftigt, die Schäden, die der Sturm angerichtet hatte, auszubessern, während die anderen Passagiere damit ausgelastet waren, sich von deren eigener Seekrankheit zu erholen. Später an diesem Tag half er mit unbeteiligter Miene dem Schiffszimmermann, das gebrochene Schloss an
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