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Die schottische Braut

Die schottische Braut

Titel: Die schottische Braut
Autoren: Deborah Hale
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konnte?
    Konnte er es ertragen, mit anzusehen, wie das Heranwachsen ihrer Kinder durch Entbehrungen geprägt wurde?
    Doch wie konnte er diesen Menschen, die ihn brauchten, den Rücken kehren? Menschen, die ihn in ihre Gemeinschaft aufgenommen hatten. Menschen, die
ihre
Ängste überwunden hatten, um
ihm
zu Hilfe zu kommen.
    Er war so in seine Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, dass Jenny neben ihm auftauchte, bis sie den Kopf gegen seinen Arm lehnte.
    “Woran denkst du, Harris?”
    “An nichts Wichtiges”, log er. Er lächelte sie an, um den wehmütigen Klang seiner Stimme zu mildern.
    “Das bezweifle ich.” Sie umklammerte seine Hand und blickte zu ihm auf.
    Der Wind ließ ihr offenes Haar wie einen Schleier aus haselnussbrauner Seide aussehen. Die Kühle des Tages hatte ihre Wangen kraftvoll gerötet. Ein Mann musste ein Narr sein, ihr nicht bis ans Ende der Welt zu folgen, wenn sie ihn lockte.
    “Diese Menschen haben einen schweren Winter vor sich.” Er wollte nicht so schroff klingen. Doch er fuhr noch schroffer fort: “Sie baten mich zu bleiben, Jenny. Sie brauchen jemand, der sie führt, und ich weiß, ich kann das.”
    Sie wollte etwas.
    Er widersetzte sich dem Drang, sie mit einem Kuss zum Schweigen zu bringen, deshalb fügte Harris rasch hinzu: “Ich weiß, wie du fühlst … dass Liebe schwere Zeiten nicht überdauern kann, doch ich weiß auch, dies ist falsch, Jenny. Unsere Liebe ist gewachsen durch das, was wir miteinander geteilt haben. In schlechten wie in guten Zeiten. Ich
werde
dich immer lieben, Jenny. Ob arm oder reich. Kannst du mich nicht genauso lieben? Ich werde von hier fortgehen, wenn du mich darum bittest, denn du bedeutest für mich alles auf der Welt. Doch …”
    Er brachte es nicht über sich weiterzusprechen. Wenn Jenny sich entschied zu gehen, vor dem Unglück davonzulaufen wie so oft in der Vergangenheit, was bedeutete das für ihre gemeinsame Zukunft? Er konnte ihr kein Leben in absoluter Glückseligkeit versprechen, gleichgültig, wie sehr er dies auch wollte. Wenn eines Tages die Mühsal sie einholte, was wahrscheinlich war, würde Jenny wieder davonlaufen und ihn im Stich lassen?
    “Oh Harris …”
    Er riss sich zusammen, um ihr zuzuhören.
    “Natürlich bleiben wir, wenn du das möchtest. Solange ich dich habe, zählt nichts anderes. Ich habe Liebe immer als ein Glashausgewächs betrachtet, und vielleicht ist sie das auch für manche Menschen, doch das sind arme Seelen. Du hast mir eine besondere Art von Liebe gezeigt. Sie ist stark, schön, süß … und leidenschaftlich. Erinnerst du dich, was die Bibel sagt … wohin du gehst, da will auch ich hingehen?”
    Harris nahm sie in die Arme. Das Glück überwältigte ihn. “Jenny. Meine Jenny.”

EPILOG
    Chatham Gleaner
, 1. Oktober 1850
    Der ehrenwerte Mr Harris Chisholm und Mrs Chisholm werden von ihren Freunden am Sonntagnachmittag, dem siebten Oktober, in ihrem Haus die Gratulationen und Wünsche aus Anlass ihrer Silberhochzeit entgegennehmen. Unser ehrenwerter Mitbürger möchte seinen Wählern danken, dass sie ihn zum zweiten Mal für das Amt in der Gesetzgebenden Versammlung wiedergewählt haben.
    Die Familie wird ebenso die Wiederkehr von Reverend Mr Levi Chisholm feiern. Er ist der zweite Sohn der Familie und hat seine Studien in Edinburgh erfolgreich abgeschlossen. Der älteste Sohn, Mr Angus, ist Geschäftsführer des lokalen Kontors der Reederei Cunard. Miss Belinda und Miss Morag werden im nächsten Jahr die Mount-Allison-Akademie besuchen. Mrs Chisholm berichtet, dass ein kürzlich stattgefundenes Salonkonzert, mit dem Geldmittel für eine öffentliche Bibliothek gesammelt wurden, ein großer finanzieller Erfolg war.
    Leser höheren Alters werden sich daran erinnern, dass sich das glückliche Paar am Tag des Großbrandes, das man in unserer Region nicht so bald vergaß, vermählte. Trotz dieses unheilvollen Anfanges ihrer Verbindung widerstanden sie in den ersten Jahren mehreren Rückschlägen dank ihrer tiefen Zuneigung.
    Liebe ist nicht Liebe
,
    die sich verändert, wenn sich Veränderungen zeigen
,
    oder sich beugt, wenn der Tod den Weggefährten holt.
    Oh nein! Sie ist ein für immer bestehendes Zeichen
,
    und selbst ein Orkan kann sie nicht erschüttern.
    Sie ist der Stern für jedes dahinziehende Schiff
,
    der Wert ist ungewiss, wenngleich ihr Höhepunkt erreicht …
    Sonett CXVI
    – ENDE –
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