Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schottische Braut

Die schottische Braut

Titel: Die schottische Braut
Autoren: Kinley Macgregor
Vom Netzwerk:
Kopf. Wenn er noch eine Seele besäße, würde er sie mit Freuden gegen eine Nacht eintauschen, die er nicht in Ketten verbringen musste, gegen ein Leben, in dem niemand über ihn bestimmte, niemand ihn folterte.
    Höhnisch verzog er die Lippen. Wann hatte er jemals etwas anderes gekannt? Selbst in England hatte sein Leben aus nichts als Folter und Hohn bestanden.
    Nie hatte er irgendwohin gehört.
    Mach schon, töte ihn, und du bekommst heute Nacht gut und reichlich zu essen. Sorge dich um das Morgen, wenn es da ist.
    Das war alles, was er kannte. Diese einfache Philosophie war es, die ihm geholfen hatte, sein kurzes, hartes Leben durchzustehen.
    Entschlossen, endlich wieder eine ausreichende Mahlzeit zu erhalten, schlich Sin ins Zeltinnere.
     
    Henry erwachte in dem Augenblick, als er die Hand an seiner Kehle spürte. Dann fühlte er auch schon eine kalte, scharfe Klinge an seinem Adamsapfel.
    »Ein Wort und du stirbst.« Die gefühllos ausgestoßenen, barschen Worte kamen mit einem Akzent, der eine seltsame Mischung aus Schottisch, dem normannischen Französisch des Adels und der Sprache der Sarazenen darstellte.
    Starr vor Angst versuchte er zu erkennen, welche Sorte Mann seine Wachen hatte überwinden können und ...
    Henry blinzelte ungläubig, als er seinen Mörder erblickte. Es war ein dürrer, abgemagerter Junge in sarazenischen Lumpen. Er roch förmlich nach Hunger und musterte ihn aus schwarzen Augen, die bar jedes Gefühls waren. Der Junge starrte ihn an, als versuchte er den Wert von Henrys Leben abzuschätzen.
    »Was willst du?«, fragte Henry.
    »Freiheit.«
    Der König betrachtete den Jungen unter zusammengezogenen Brauen, bemühte sich, ihn trotz seines schweren Akzents zu verstehen. »Freiheit?«
    Der Junge nickte, und seine Augen glühten in der Dunkelheit seltsam. Diese Augen gehörten nicht zu einem Kind. Sie gehörten zu einem Dämonen, der die Hölle selbst gesehen hatte.
    Die eine Gesichtshälfte des Jungen war geschwollen und dunkel verfärbt von Schlägen, seine Lippe aufgeplatzt. Die Haut an seinem Hals war gerötet, wund gerieben und blutig, als würde er gewöhnlich einen eisernen Ring darum tragen, den er nicht wehrlos duldete. Henry schaute nach unten und entdeckte an beiden Handgelenken ähnliche Abschürfungen. Aye, jemand hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, das Kind wie ein Tier anzuketten. Und der Junge hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, das nicht ohne Gegenwehr hinzunehmen.
    Als er sprach, erstaunten seine Worte Henry noch mehr als seine zerlumpte Erscheinung. »Wenn du mir meine Freiheit gibst, werde ich dir treu dienen bis in den Tod.«
    Wenn diese Worte von irgendjemand anderem gesprochen worden wären, hätte Henry gelacht. Aber dieser Junge besaß etwas, das ihn davon überzeugte, wie schwer es sein würde, seine Treue zu erringen. Gelänge das aber, wäre sie nicht mit allem Gold der Welt aufzuwiegen.
    »Und wenn ich das ausschlage?«
    »Dann töte ich dich.«
    »Meine Wachen werden dich ergreifen, wenn du das tust, und dich umbringen.«
    Langsam schüttelte der Junge den Kopf. »Sie werden mich nicht fassen.«
    Das bezweifelte Henry keinen Augenblick. Es war eine beachtliche Leistung, ungehindert so weit vorgedrungen zu sein.
    Er musterte das lange schwarze Haar und die schwarzen Augen seines Gegenübers. Seine sonnenverbrannte Haut war trotz allem wesentlich heller als die der meisten Einheimischen. »Bist du Sarazene?«
    »Ich bin ...« Er verstummte. Die Schärfe verschwand aus seinem Blick und wich einem Schmerz, der so tief war, dass es Henry fast weh tat, ihn zu sehen. »Ich bin kein Sarazene. Ich war der Knappe eines englischen Ritters, der mich an die Sarazenen verkauft hat, um seine Heimreise bezahlen zu können.«
    Diese Antwort machte Henry für einen Moment sprachlos. Jetzt begriff er, warum der Junge in einer so schlechten Verfassung war. Es war nicht auszudenken, welche Misshandlungen und Verwahrlosung das Kind in den Händen der Sarazenen erfahren hatte. Welches Untier würde ein Kind an den Feind verkaufen? Die Grausamkeit dieser Tat war unfassbar.
    »Ich werde dir die Freiheit schenken«, erklärte er.
    Der Junge kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Das ist besser keine Falle.«
    »Ganz bestimmt nicht.«
    Da ließ er ihn los und entfernte sich vorsichtig.
    Henry beobachtete, wie der Junge an der Zeltwand stehen blieb und sich hinkauerte, mit einer Hand den Stoff anhob, zweifellos bereit zu fliehen, sollte Henry eine plötzliche Bewegung machen. So
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher